Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
denen Corinna Matteuer hätte satt werden können. Auf nachträgliche Vorhaltungen vonseiten ihres Schwiegersohns konnte sie verzichten. Doch zum Glück war auf den dicken Gerichtsmediziner Verlass, wenn es darum ging, eine doppelte Portion zu vertilgen.
Zufrieden kehrte sie in die Küche zurück. Sie hatte richtig gehandelt, redete sie sich zu. Wenn sie auch nach wie vor Mitleid mit Corinna Matteuer hatte, die Gefahr, dass diese Frau die Gelegenheit nutzen würde, Erik zu umgarnen, war einfach zu groß. Sie war nicht die Richtige für ihren Schwiegersohn und erst recht nicht die Richtige für Carolin und Felix. So bald wie möglich würde sie zu Lucias Grab gehen und sie um ein Zeichen bitten, das sie in der Richtigkeit ihrer Entscheidung bestätigte.
Mamma Carlotta hatte gerade das letzte Omelett gebacken, als Wiebke erschien. Sie hatte sich umgezogen, trug eine helle, sehr enge Jeans, dazu Cowboystiefel und einen grob gestrickten Pulli mit einem riesigen Rollkragen, der ihr bis zum Kinn reichte. Ihre roten Locken waren zerzaust, ihre Wangen gerötet, die Sommersprossen schienen zu tanzen.
»Benissimo!«, rief Mamma Carlotta. »Sie können die Tomatensoße warm machen und die Omeletts in Streifen schneiden und hineingeben. Ich kümmere mich um Primo piatto.«
Wiebke machte zunächst ein erschrockenes Gesicht, als sie zur Mithilfe aufgefordert wurde, aber die Aufgabe, die Mamma Carlotta ihr auftrug, war so einfach, dass sie sich frohgemut an die Arbeit machte. »Ich kann nicht kochen. Nur Spiegeleier mit Bratkartoffeln und Nudelauflauf«, gestand sie fröhlich. »Wenn mir das zum Halse raushängt, gehe ich essen. Meistens beim Türken an der Ecke.«
Mamma Carlotta konnte sich nicht genug über diese Lebensart wundern und berichtete erst einmal ausführlich, wie es ihr in Wiebkes Alter ergangen war. Dass sie damals noch nie ein Restaurant von innen gesehen hatte und in ihrem Dorf eine junge Frau an ihren Kochkünsten gemessen wurde. »Wir hatten gar nicht genug Geld, um auswärts zu essen. Und was hätte ich währenddessen auch mit meinen sieben Kindern machen sollen?«
Wiebke sah sie erschrocken an. »Sie hatten, als Sie so alt waren wie ich, schon sieben Kinder?«
Vorsichtshalber erkundigte sich Mamma Carlotta nach Wiebkes Alter, aber als sie hörte, dass die Reporterin fünfunddreißig Jahre alt war, lachte sie. »Da waren meine Ältesten schon mit der Schule fertig!«
Da sie nicht nur gern kochte, sondern auch gern übers Kochen redete, erklärte sie Wiebke in aller Ausführlichkeit, wie leicht eine Tomatensoße zu kochen und ein Omelett herzustellen sei. »Mit dem Risotto alla milanese geht es allerdings nicht so einfach. Die Schalotten müssen erst vorsichtig angeschwitzt werden, dann kommt der Reis dazu, und man muss darauf achten, dass jedes Reiskorn was von dem Fett abbekommt. Tostare nennen wir das. Dann die Flamme ein wenig höher stellen, aber nur un po’. Ganz wenig! Anschließend Brühe dazugeben, aber immer nur nach und nach. Die Brühe verdampfen lassen und immer mit der Suppenkelle erneut ein wenig dazugeben. Zum Schluss vielleicht noch einen Schuss Wein, aber das muss nicht. E poi …« Mamma Carlotta hielt ein winziges Döschen in die Höhe. »Zafferano! Wie sagt man hier?«
Wiebke studierte die Aufschrift auf dem Döschen. »Safran!«
»Sì! Davon bekommt Risotto alla milanese seine schöne Farbe.« Mamma Carlotta warf einen kontrollierenden Blick auf die Omelettstreifen und war zufrieden, als sie feststellte, dass Wiebke sie schön dünn geschnitten hatte. »Wie man den Risotto kocht, zeige ich Ihnen nachher. Dafür braucht man Fingerspitzengefühl.«
Felix kam in die Küche, schnupperte neugierig und sah Wiebke über die Schulter. »Sie können kochen?«
»Nicht wirklich!«, gab Wiebke lachend zurück. »Ich bin hier bestenfalls die Küchenhilfe.«
Mamma Carlotta entschuldigte sich hastig für ihren Enkel, der einen Ohrring trug und die Haare zum Pferdeschwanz gebunden hatte. »Wie una ragazza!« Früher habe er immer ein Käppi getragen und diese schrecklichen weiten Hosen, deren Schritt zwischen den Knien hing. »Ich weiß wirklich nicht, was schlimmer ist: dass mein Enkel sich kleidet wie ein Landstreicher oder wie ein Mädchen.«
Wiebke lachte Felix an. »Wieso? Sieht doch cool aus.«
Damit hatte sie die Tür zu seinem Herzen aufgestoßen, wenn Felix auch noch nicht bereit war, sie ihr ganz zu öffnen. »Ich habe gehört, Sie wollen eine Reportage über Corinna Matteuer
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