Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Sinn, den Paketboten auf einen Espresso hereinzubitten oder den Schornsteinfeger mit einem Stück Torrone zu verwöhnen. Als sie dann aber sah, wer vor der Tür stand, verschlug es ihr die Sprache. Und so etwas kam bei Carlotta Capella sehr selten vor.
E rik trat auf die Terrasse und sah seinen Assistenten ratlos an. In der Wohnung waren Vetterich und seine Leute mit der Spurensuche beschäftigt.
»Donnerwetter!«, hörte er einen Mann sagen, der mit anderen Feriengästen auf dem Nachbargrundstück stand und zu ihnen hinübersah. »So viel Aufwand für einen simplen Einbruch?«
»Vielleicht ist was Wertvolles geklaut worden?«, warf ein anderer ein.
Aber der Erste winkte ab. »Wer bewahrt schon irgendwelche Kostbarkeiten in einer Ferienwohnung auf? Und der junge Mann sah ganz normal aus. Das war keiner mit Rolex am Handgelenk und Brilli im Ohr.«
Erik zog Sören zur Seite und drehte den neugierigen Nachbarn den Rücken zu. Sie alle waren mittlerweile befragt worden, aber niemandem war etwas aufgefallen. Auch zu Dennis Happe hatte keiner von ihnen etwas zu sagen gewusst. Er war ein netter junger Mann gewesen, der stets freundlich gegrüßt hatte. Einer nannte ihn auch hilfsbereit, da er einmal dabei geholfen hatte, einen Grill anzuzünden. Ansonsten wusste niemand etwas über ihn, die benachbarten Hauseigentümer nicht und ihre Feriengäste erst recht nicht. Dass Dennis Happe seine Wohnung viel länger als der durchschnittliche Sylttourist bewohnt hatte, änderte daran nichts.
»Machen wir einen Denkfehler?«, fragte Erik leise. »War es Dennis Happe, der irgendetwas Brisantes besaß, und nicht Matilda?«
Sören zuckte hilflos die Schultern und versuchte noch einmal alle Fakten zu rekapitulieren. »Erst bringt Matilda Pütz auf perfide Weise Ludo Thöneßen um, weil er sie betrogen und ihr Liebe vorgegaukelt hat. Danach tötet sie sich selbst.«
»Möglicherweise hat das überhaupt nichts mit Dennis Happes Ermordung zu tun.«
»Vielleicht doch! Alles hängt irgendwie mit Matteuer-Immobilien zusammen. Das kann doch kein Zufall sein. Vergessen Sie nicht, Chef: Ludo wollte das Bistro im Gesundheitshaus haben. Das war seine letzte Rettung. Wir wissen doch, wie es in seinen Bilanzen aussah.«
Erik nickte nachdenklich. »Dann wird Dennis Happe erstochen neben Matildas Schreibtisch aufgefunden. Und der wurde durchsucht.«
»Vielleicht hat er ihn selbst durchsucht und wurde dabei ertappt?«
»Dann müsste er etwas gefunden haben, was einem anderen gefährlich werden konnte. Und dieser andere hat ihm dann ein Messer in den Rücken gerammt.«
»Und ihm natürlich abgenommen, was er gefunden hat«, ergänzte Sören. »Warum dann aber noch dieser Einbruch?«
»Vielleicht ist der Mörder auch überrascht worden, ehe er Dennis Happe abnehmen konnte, was er wollte. Vergessen Sie nicht, Tove Griess und Fietje Tiensch waren hinter dem Haus, Wiebke Reimers ebenfalls.«
»Von Ihrer Schwiegermutter ganz zu schweigen!«
»Sie könnten den Täter vertrieben haben. Oder Dennis Happe hatte das, womit er den Mörder erpressen konnte, gar nicht bei sich.« Erik sah in den grauen Himmel, beobachtete nachdenklich, wie der Wind an den Zweigen der Bäume riss und sich eine Möwe von einer Windbö davontreiben ließ. Er roch die Luft, die nirgendwo so klar war wie auf Sylt, und lauschte auf das ferne Rauschen des Meeres, das an jeder Stelle der Insel zu hören war.
Sören betrachtete ihn und schien darauf zu hoffen, dass die Überlegungen seines Chefs zu einem Ergebnis führten. Aber Erik schüttelte den Kopf, als er die erwartungsvollen Augen seines Assistenten sah. »Anscheinend kratzen wir noch nicht einmal am Rande dieses Falles. Ich fürchte, wir sind von seiner Lösung noch weit entfernt.«
In diesem Moment räusperte sich jemand hinter ihnen, die beiden fuhren herum. Vor ihnen stand ein etwa sechzigjähriges Ehepaar. Beide trugen schwarze Mäntel, die Frau ein dezent gemustertes Tuch um den Hals, der Mann einen dunklen Hut, den er nun lüftete. »Happe«, sagte er und musste sich noch einmal räuspern, als wollte ihm seine Stimme nicht gehorchen. »Wir sind Dennis’ Eltern.«
Sören reagierte als Erster. Er holte zwei Terrassenstühle hervor, stellte sie an einen windgeschützten Platz und machte eine einladende Geste. Herr und Frau Happe warfen zwar einen langen Blick ins Wohnzimmer, sahen aber ein, dass dort kein Platz für sie war, knöpften ihre Mäntel bis oben zu und nahmen auf den Terrassenstühlen Platz.
Erik
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