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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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Dauer gewesen war – das Mädchen hatte sich einmal mehr von seiner mürrischen Seite gezeigt und es kaum erwarten können, wieder auf sein Rad zu klettern –, hatte sich Kateryna eine Massage im Spa des Grand Hotels gegönnt. Danach hatte sie sich in ihre Suite zurückgezogen, um ein wenig zu ruhen. Sie musste wohl eingenickt sein und geträumt haben.
    Während sie den Kristallluster an der mit edlem Stuck verzierten Decke betrachtete, rief sie sich die Szenen in Erinnerung. Tony war gekommen, hatte sie geküsst und sie waren in eine feurige Umarmung gesunken, die alles rundherum vergessen machte.
    Kateryna seufzte. Wie bedauerlich, dass sie ihn zugunsten von Sascha versetzt hatte. Es wäre nicht beim Traum geblieben.
    Hätte das Botox es nicht verhindert, auf Katerynas Stirn wäre eine Falte erschienen. So blieb es nur bei trüben Gedanken, die äußerlich nicht sichtbar wurden. Ihre Tochter entwickelte sich mehr und mehr zum Problemfall. Sie hatte gehofft, dass diese Reise nach Meran – in eine neue Umgebung – sie, Tony und Sascha einander näherbringen würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Sascha gebärdete sich uneinsichtiger denn je, daran hatte der Ortswechsel nicht das Geringste ändern können.
    »Wenn du Tony heiratest, gehe ich zurück zu Papa.« Erst gestern hatte ihr die Kleine wieder gedroht.
    Kateryna lächelte. »Kleine« war gut. Ihre Tochter war fast so groß wie sie. Bald würde sie ihrer Mutter über den Kopf wachsen. Das mussten die Gene ihres Exmannes sein. Der war über 1,90. Mit ihren immerhin 1,70 war sie sich dagegen stets klein vorgekommen. Nun hatte er eine Frau, die ihm ebenbürtig war. Zumindest was die Größe anbelangte …
    Beim Gedanken an das langbeinige Model, das Sergej sich angelacht hatte, während er mit ihr verheiratet war, verzog Kateryna die Mundwinkel. Es war bitter gewesen, herauszufinden, dass er sie betrog. Das war Vergangenheit. Sie weinte ihm keine Träne mehr nach.
    Nach der Scheidung war sie von Feodossja auf der Krim, wo sie geboren worden war und mit Sergej gelebt hatte, nach Sotschi übersiedelt. Das bedeutete zwar, ihre Heimat zu verlassen. Immerhin war sie am Schwarzen Meer geblieben, das ihr so vertraut war.
    Im Gegensatz zu den ukrainischen Oligarchen, die aus Angst vor den viel mächtigeren russischen Magnaten eine Annäherung an den Nachbarstaat scheuten, hatte Kateryna keine Berührungsängste. Die Stadt am Fuße des Kaukasus war für Kateryna genau das richtige Umfeld, um die Abfindung, die sie bei ihrer Scheidung erhalten hatte, gewinnbringend zu investieren. Sie, die ehemalige Deutschprofessorin, hatte während ihrer Ehe dazugelernt. Sie wusste genug über internationale Finanzmärkte und nationale Gepflogenheiten, um mit dem Kapital, das ihr zur Verfügung stand, Zinsen zu erwirtschaften. Und wenn sie sich auch beharrlich weigerte, dieselben fragwürdigen Methoden anzuwenden, die sie bei ihrem Exmann kritisiert hatte, so war es ihr mit Geschick, Charme und der nötigen Durchsetzungskraft dennoch gelungen, sich ein eigenes Vermögen aufzubauen.
    Ob sie alles verkaufen und sich in Meran niederlassen sollte? Kateryna hätte gute Lust dazu gehabt. Hier in der Gegend gab es Wein, Bier und Äpfel – das klang doch gleich viel besser als Stahl, Gas und Beton.
    Sie wusste allerdings, dass sie behutsam vorgehen musste. Nur allzu schnell war vom »Ausverkauf der Heimat« die Rede, wenn ausländische Investoren auf den Plan traten.
    »Sie müssen vorsichtig sein. Lassen Sie es step by step angehen«, hatten ihre Berater ihr erklärt.
    Nun, der erste Schritt war gemacht. Sie sponserte das Symposium über Oswald von Wolkenstein großzügig. Das würde ihr die Sympathie der lokalen Meinungsbildner einbringen. Zudem hatte sie einen Trumpf im Ärmel.
    Kateryna schreckte hoch. Im Nebenzimmer hatte sie ein Geräusch gehört. War Sascha zurückgekommen?
    Nackt, wie sie war, glitt Kateryna aus dem Bett und warf sich den flauschigen Bademantel über, der auf dem Polstersessel lag. Vor dem großen, goldgerahmten Spiegel bemerkte sie, dass der Gürtel geöffnet war und das Kleidungsstück auseinanderklaffte. Sie hielt inne, um sich zu betrachten. Selbst mit 46 war sie eine schöne Frau: Üppiger Busen, schlanke Taille, wohlgerundete Hüften und Schenkel. Im Gesicht hatten Chirurgenhände bereits ein wenig nachgeholfen. Doch im Vergleich zu den durch Schönheitsoperationen entstellten Gesichtern so mancher ihrer Geschlechtsgenossinnen wirkte bei ihr alles

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