Kurschattenerbe
sie in dem Moment nicht zu sagen vermocht.
Bald fand sie einen Anhaltspunkt: Auf Seite 3 fehlte ein Artikel. Oder war es die darauffolgende Seite 4? Nein, das konnte nicht sein. Darauf war eine ganzseitige Werbung, da hätte es keinen Sinn ergeben, nur einen Teil der Seite herauszureißen – zumal die Kontaktdaten mit Telefonnummer und Webadresse vorhanden waren.
Jenny betrachtete die Seite 3 genauer. Die obere Hälfte war herausgerissen. Auf dem verbliebenen Teil der Seite fand sie einen Bericht über ein Verkehrschaos auf der MeBo, der Schnellstraße zwischen Meran und Bozen. Daneben stand ein Artikel über zwei Meranerinnen, die sich wegen eines Mannes in die Haare gekriegt und einander eine handfeste Schlägerei geliefert hatten.
Das war eindeutig die Chronik-Seite. Welches lokale Ereignis könnte Arthur so interessiert haben, dass er sich die Mühe gemacht hatte, den Abschnitt herauszutrennen?
Ein Bericht über das Symposium konnte es nicht sein. Dank ihrer Medienbeobachtung, von der sie sämtliche Artikel elektronisch und tagesaktuell geliefert bekam, wusste Jenny, dass gestern nichts erschienen war.
Es musste sich also um etwas anderes handeln, das Arthur derart gefesselt hatte – fragte sich nur, was. So sehr Jenny sich auch den Kopf zerbrach, sie kam zu keinem Ergebnis. Daher beschloss sie, Lenz ins Vertrauen zu ziehen. Da er für die Organisation des Kongresses zuständig und Tage vor Jenny angereist war, wusste er vielleicht Bescheid. Doch auch Lenz konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen.
»Gehen wir in die Galileistraße«, hatte er vorgeschlagen. »Gibt es dort sicher ein Exemplar von der gestrigen Ausgabe.«
Jenny verstand zunächst nicht. War da eine Altpapiersammelstelle? In der Galileistraße befinde sich das Büro des ›Meraner‹, hatte Lenz erklärt. Wenn, würden sie dort die gestrige Ausgabe bekommen.
Auf ihrem Weg dorthin hatten sie die Meraner Lauben passiert. Jenny hatte einen sehnsüchtigen Blick zu der Einkaufsstraße mit den mittelalterlichen Arkadengängen geworfen. Lenz war jedoch so rasch weitergeeilt, dass sie ihr keine Zeit zu verweilen geblieben war.
Die freundliche Sekretärin des ›Meraner‹ hatte ihnen ohne Umstände ein Exemplar ausgehändigt, das sie und Lenz nun studierten.
›Südtiroler Heimatmaler tot aufgefunden‹ , lautete die Schlagzeile des fehlenden Artikels. Daneben befand sich ein Porträtfoto eines etwa 50-jährigen Mannes. Sein Gesicht wirkte verlebt, unter den Augen hatte er Tränensäcke. Auf dem Kopf trug er einen Strohhut, darunter kringelten sich schulterlange Locken.
»Einen schrecklichen Fund machte gestern die Haushälterin des bekannten Südtiroler Heimatmalers Peter Mitterer aus St. Michaela in Dorf Tirol.« Lenz hatte laut zu lesen begonnen. »Den Mitterer haben sie umgebracht«, murmelte er.
»Hast du ihn gekannt?«
»Nicht persönlich, aber ich habe schon von ihm gehört.« Lenz las laut weiter: »Die Frau kam wie jeden Morgen zum Aufwarten in das Haus des Mannes. Eine Blutspur ließ sie Schlimmes ahnen. Schließlich fand sie Mitterer an der Schwelle zu seinem Atelier tot auf.«
Lenz machte eine Pause.
»Was hatte Arthur mit dem ermordeten Maler zu tun?«, fragte Jenny.
Lenz zuckte die Schultern: »Hab ich keine Ahnung. Vielleicht kannte er ihn.«
Jenny las weiter, doch auch die nächsten Zeilen gaben keinen Aufschluss. Laut Haushälterin sei nichts gestohlen worden, hieß es. Der ›Meraner‹ hatte ein paar Zeilen über Leben und Werk des Künstlers hinzugefügt und die Trauer des gesamten Verlages bekundet.
»Glaubst du immer noch, dass Arthur aus freien Stücken abgetaucht ist?«
Lenz nahm seine Brille ab, betrachtete sie und setze sie wieder auf. »Hast du mit der Polizei gesprochen?«
Jenny zögerte. Sollte sie ihm von ihrem Anruf berichten? »Ich habe heute mit dem Notruf telefoniert«, sagte sie schließlich. »Aber …«
»Was haben sie gesagt?«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Polizei der Sache große Bedeutung bemisst.«
Lenz nahm wieder seine Brille ab und betrachtete die Gläser. »Sollten wir mit der Haushälterin reden.« Unvermittelt stand er auf und überquerte die Straße.
Jenny zögerte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie die Haushälterin finden sollten. Wusste Lenz mehr, als sie ahnte?
*
Kateryna Maximowa rekelte sich im luxuriösen Doppelbett ihrer Panoramasuite, die sie im Grand Hotel Meran bezogen hatte.
Nachdem die Shoppingtour mit Sascha nur von kurzer
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