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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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hinterher. Wie konnte er sie einfach ohne eine Erklärung hier zurücklassen?
    Beinahe wäre sie ihm hinterhergelaufen, um ihn nach dem Grund für seine Planänderung zu fragen. Doch sie unterdrückte den Impuls und wandte sich dem Reporter zu. Er stand an der Beifahrerseite seines Wagens und hielt mit einladender Geste die Autotür auf.
    *
    Von seinem Posten, den er nahe der Burg bezogen hatte, beobachtete Tony Perathoner die Frau, die gerade in das Auto stieg. Er hatte sie gleich wiedererkannt. Das war Jenny Sommer. Kateryna hielt große Stücke auf sie. Er selbst hatte bisher keine Gelegenheit gehabt, sie näher kennenzulernen. Der Mann war Beppo Pircher, der Reporter. Was machten die beiden hier?
    Tony schaltete seine Kamera ein und brachte sie in Position. Von seinem Standort aus hatte er ungehinderte Sicht auf die Ortschaft, die sich auf dem gegenüberliegenden Hang befand. Auf dem Display konnte er den Wagen verfolgen, der vor einem Haus hielt. Die beiden Insassen stiegen aus und gingen darauf zu.
    Tony zoomte die Einstellung näher heran. ›Marthas Buschenschank‹ las er auf dem Schild, das über dem Eingang zu einer Pergola befestigt war. Eine Frau in einem schlichten schwarzen Kleid kam heraus, darüber trug sie eine bunte Kittelschürze. Nachdem sie die Gäste begrüßt hatte, führte sie sie zu einem der Tische. Er stand ganz vorn an der der Straße zugewandten Seite. Bis auf ein wenig Weinlaub, das vom Holzdach hing, trübte nichts die Sicht.
    »Perfekt«, murmelte Tony und zoomte näher heran. Die Wirtin brachte einen Krug und schenkte ein. Gleich darauf kam ein Mädchen, das einen riesigen Teller vor sich her trug, der mit Speck, Wurst und Käse beladen war. Die Kleine kannte er doch! Natürlich, das war das Mädchen mit der unvorteilhaften Brille, das er gestern auf der Burg gesehen hatte. Und die Frau mit der Kittelschürze war ihre Mutter. Die beiden hatten gestern mit ihm und Kateryna für das Pressebild posiert.
    Tony verfolgte das Geschehen weiter. Die Kleine hatte die Jausenplatte auf den Tisch gestellt und war wieder verschwunden. Jetzt kam die Wirtin mit einem Brotkorb. Beppo Pircher bedeutete ihr, sich dazuzusetzen. Die Frau sah sich um. Es waren sonst keine Gäste da. Sie nahm Platz. Der Reporter sprach sie an. Augenblicklich begann die Frau, heftig den Kopf zu schütteln.
    Jenny Sommer hielt der Frau etwas hin, das wie eine Zeitung aussah. Wieder schüttelte die Wirtin den Kopf. Die Hände hatte sie wie zum Gebet vor der Brust gefaltet. Sie hatte sich gerade erhoben, da kam das Mädchen wieder zurück. In den Händen hielt es ein Blatt Papier, das es auf den Tisch legte. Sofort streckte die Wirtin die Hand aus. Doch Jenny Sommer war schneller. Sie nahm das Blatt an sich und betrachtete es. Dann blickte sie auf und sagte etwas zu der Frau, die ein Taschentuch aus ihrem Schürzensack nestelte und es sich vor die Augen hielt. Im nächsten Moment legte die Kleine die Arme um die Taille ihrer Mutter und schmiegte den Kopf an deren Brust. Gemeinsam gingen Mutter und Tochter ins Haus. Die beiden Gäste standen auf und folgten der Frau und dem Mädchen.
    Tony schaltete die Kamera aus und verstaute sie im Rucksack. Mehr würde er nicht mehr zu sehen bekommen. Er konnte auch so seine Schlüsse daraus ziehen.
    *
    »Gibt es dafür Zeugen?« Lenz betrachtete Inspektor Marco Comploi, der ihm gerade die Frage gestellt hatte. Sie befanden sich im Ohmann-Saal des Kurhauses, den Maurice Jungmann heute Morgen für das Interview mit Beppo Pircher genutzt hatte. Mittlerweile diente der Raum   mit seinem   hellen Parkettboden und den eleganten weißen Flügeltüren als Vernehmungszimmer. Maurice Jungmann hatte Lenz zurückbeordert, da die Polizei ihn wegen der verschwundenen Vielle zu vernehmen wünschte. Lenz war den Weg nach Dorf Tirol gejoggt und von dort mit dem Taxi ins Kurhaus gefahren.
    »Genau genommen nicht«, beantwortete Lenz die Frage.
    »Wie darf ich das verstehen?«
    Lenz riss sich zusammen. Er durfte die Geduld des jungen Inspektors, der bisher sehr höflich gewesen war, nicht überstrapazieren. »Entschuldigen Sie. Am besten, ich fange von vorn an.« Comploi nickte ihm zu. »Ich bin mit Frau Dr. Sommer aus der Burg herausgekommen. Wir wollten zusammen nach Dorf Tirol zurückgehen. Der Weg war mit Fackeln beleuchtet.«
    »Um wie viel Uhr war das?« Der Inspektor wollte es offenbar ganz genau wissen.
    »Wir sind gleich nach Ende des Konzertes nach draußen gegangen. Das muss kurz vor elf

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