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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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und eine Platzwunde. Der Blutverlust war gering, die Wunde haben wir versorgt. Erschwerend kommt allerdings die Dehydration, der Flüssigkeitsmangel, hinzu. Anscheinend hat der Mann seit über 24 Stunden nichts mehr getrunken.« Der Arzt blickte wieder auf sein Klemmbrett und begann neuerlich, Schläfe und Stirn zu massieren.
    »Wir haben ein zerbrochenes Glas und einen Wasserfleck am Boden gefunden. Offenbar war der Entführte kurz bei Bewusstsein und hat versucht, etwas zu trinken. Wir nehmen allerdings an, dass in der Flüssigkeit ein Betäubungsmittel war. Anders ist es wohl kaum erklärbar, dass der Mann nicht versucht hat, Alarm zu schlagen.« Comploi bemerkte, dass ihn der Arzt erstaunt ansah, und fuhr fort. »Der Professor war nicht gefesselt und geknebelt. Wenn – wie Sie sagen – die Verletzung durch den Schlag nicht so gravierend war, ist es ein Rätsel, warum der Mann nicht zumindest versucht hat, sich zu befreien.«
    Der Arzt legte das Klemmbrett weg. Seine Miene war zunehmend ernster geworden. »Da ist eine andere Sache, die uns große Sorgen macht«, sagte er schließlich. Aus der Tasche seines Kittels förderte er eine Medikamentenschachtel zutage.
    Während Comploi die Aufschrift der Packung studierte, fuhr der Arzt fort. »Das Mittel wird bei Herzinsuffizienz verschrieben. Vereinfacht gesagt handelt es um ein Arzneimittel gegen die Symptome von Herzschwäche. Bei regelmäßiger Einnahme sorgt es dafür, dass der Patient nahezu beschwerdefrei ist.«
    »Und wenn der Patient es nicht regelmäßig einnimmt oder dazu nicht in der Lage ist – was passiert dann?«
    Der Doktor betrachtete das Medikament mit sorgenvoller Miene und begann wieder, seine Druckpunkte an der Schläfe und zwischen den Brauen zu massieren. »Wenn die Einnahme für kurze Zeit ausgesetzt wird, hat das in der Regel für den Patienten keine unmittelbaren Konsequenzen. Es wäre allerdings möglich, dass Professor Kammelbach weitere Medikamente einnehmen musste. Sie haben nicht zufällig welche beim Entführungsopfers gefunden?«
    Comploi schwieg. Er hatte die Schachtel dem Notarzt des Rettungswagens, der Professor Kammelbach von der Scheune zum Krankenhaus gebracht hatte, übergeben, ohne näher darauf einzugehen. »Das Medikament hat eine Kollegin des Professors in seinem Zimmer gefunden. Die Spurensicherung durchsucht gerade das Hotelzimmer des Opfers. Gut möglich, dass wir weitere Medikamente finden. Ich werde Sie natürlich umgehend informieren.«
    Der Arzt, der ihm mit ausdrucksloser Miene zugehört hatte, nickte. »Ja, davon gehe ich aus. Wir haben jedenfalls Maßnahmen eingeleitet, um den Patienten wieder zu stabilisieren. Aber es ist immer noch bewusstlos und es sieht im Moment nicht gut aus.«
    »Wie ist das möglich?« Comploi war aufgesprungen und ging ruhelos in dem winzigen Zimmer auf und ab. »Sie sagten doch selbst, dass der Schlag auf den Kopf nicht so schlimm war und dass das Aussetzen des Medikamentes nicht gleich den Tod zur Folge hat.«
    »Jedes der von Ihnen aufgezählten Ereignisse für sich allein genommen wäre tatsächlich kaum tödlich. Es ist die Kombination aus dem Schlag, der Nichteinnahme dieses und wahrscheinlich weiterer Medikamente und schließlich dem Flüssigkeitsmangel. All das hat dazu geführt, dass sich der Patient in einem sehr schlechten Zustand befindet.« Der Arzt blickte zu Comploi hoch, der ununterbrochen auf und ab marschierte. Tiefe Furchen zeichneten sich um die Mundpartie des Mediziners ab. »Wir können von Glück sagen, dass der Mann lebend gefunden wurde. Ein paar Stunden später …« Der Arzt ließ den Satz unvollendet. Comploi hatte auch so verstanden und haderte mit dem Schicksal. Es war wirklich eine Schande. Der einzige Zeuge, der Licht in diese wirre Angelegenheit hätte bringen können, schwebte in Lebensgefahr. Und er, Comploi, musste sich eingestehen, dass er nicht ganz unschuldig daran war. Immerhin hatte er den Anruf Jenny Sommers, bei dem sie auf die mögliche Entführung aufmerksam gemacht hatte, entgegengenommen. Er hatte dem keine Bedeutung beigemessen. Wie hätte er auch auf die Idee kommen sollen, dass zwischen dem Fernbleiben eines Professors von einem Kongress in Meran und dem Mord an einem Heimatmaler in St. Michaela ein Zusammenhang bestand?
    Den gab es offenbar, zumindest, wenn man der Geschichte der Zeugin Sommer über den fehlenden Zeitungsausschnitt Glauben schenkte. Der Bericht war zwar nicht beim Entführungsopfer gefunden worden. Aber wenn er ihn

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