Kurt Ostbahn - Peep- Show
kalter Wut. Das also ist der bittere Lohn für unermüdlichen Einsatz, unbezahlbare Ezzes und grenzenlose Risikobereitschaft, während es der Herr Ostbahn vorzieht, die amerikanischen Südstaaten zu bereisen, auf der Suche nach der Originalrezeptur des Rhythm‘n‘Blues.
Im Arbeitszimmer blinkt zwischen den Leichenteilen des Großrechners das grüne Lämpchen der Faxmaschine. Der Apparat ist uralt und war offenbar robust genug, dem Vorschlaghammer des sibirischen Kaputtniks zu widerstehen. Auf dem Boden windet sich ein vier Seiten langes Fax, handgeschrieben und von Kurt Ostbahn irgendwo in den sumpfigen Weiten von Südwest-Louisiana verfaßt. »An Doktor Trash« steht auf der ersten Seite in Großbuchstaben, und — zweimal dick unterstrichen — »persönlich«.
Lieber Doc,
war; wie du weißt, noch nie ein großer Briefeschreiber, aber die Sache mit der Rikki läßt mir ganz einfach keine Ruh. Sogar hier in den Bayous, wo die Bäume nicht aus der Erde, sondern aus dem Wasser in den Himmel wachsen, seh ich sie ständig vor mir. Und je mehr ich drüber nachdenke, desto größer meine Sorge. Ich weiß genau, sie wollte mir kurz vor meiner Abreise was wirklich Wichtiges sagen. Aber die Rikki ist, wie auch wir; lieber Doc, kein offenes Buch, sondern eher eins mit sieben Siegeln. Man muß ihre Zeichen zu deuten wissen. Ich hab die Zeichen zwar gesehen, in der Nacht vor meiner Abfahrt, aber es war einfach nicht genug Zeit. Und am letzten Tag, in der Peep-Show, hat sie grad getanzt, als ich am Weg zum Westbahnhof vorbeigeschaut hab. Ich hoffe nur, es geht ihr halbwegs! Weil die Rikki ist was Besonderes. Zumindest in meinem Leben. Komisch, was dir für Sachen durch den Kopf gehen, wenn du hier nachts auf der Veranda sitzt. Daheim in der Reindorfgasse plärrt um die Uhrzeit maximal ein Fernseher, oder ein Organspender glüht mit 180 auf seinem auffrisierten Eisen durch die verkehrsberuhigte Zone. Hier ist überhaupt kein Verkehr, aber akustisch trotzdem die Hölle los. Die Breitmaulfrösche beklagen sich grad über die lückenhafte Nahversorgung, obwohl es meiner Meinung nach keinen Grund zur Beschwerde gibt: Habe noch nie im Leben so viele Gelsen, Bremsen und Moskitos gesichtet und erlegt. Und wenn die Frösche schweigen, knirscht irgendwo im brackigen Wasser ein alter Alligator mit den Zähnen, weil ihm in letzter Zeit zu wenige bloody tourists aus den Fischerbooten und direkt ins Maul gefallen sind.
Der Kurtl weiß auf den nächsten Seiten seines eigentümlichen Schreibens noch allerhand über die einzigartige Flora und Fauna der Bayous zu berichten, und auch über seinen momentanen Quartiergeber, einen Exil-Steirer und Naturburschen aus dem schönen Kindberg, der sich und seine Familie mit einer kleinen Bootsvermietung und dem Verkauf von gator bait, also Alligatoren-Köder, über die Runden bringt. Als sie sich kennenlernten, bei einem Auftritt von Buckwheat Zydeco vulgo Stanley Dural Jr., einem der zahlreichen Erbprinzen von Zydeco-König Clifton Chenier, dachte der Kurtl noch, sein emigrierter Landsmann sei Hersteller von Kindermöbeln. Weil sich ein steirisches Gitterbett halt nicht viel anders anhört als ein gator bait aus Louisiana. Von der Bootsvermietung in den arkadischen Sümpfen stammt denn auch Kurtls Fax mit der dringenden Bitte um Antwort und, auf der letzten Seite, Enthüllungen, die sogar den Doc wieder versöhnlich stimmen:
Ich war ein junger Spund. Und die Rosi war, wie soll ich sagen, immer für uns da. Wie eine Mama. Aber nicht nur. Wenn wir im Kino waren, haben wir uns die Sophia Loren angeschaut. Immer wieder. Und die Rosi war für mich damals die Loren in Blond. Irgendwann nach Sperrstund ist es halt passiert. Im Espresso Rosi, im Hinterzimmer, wo zu der Zeit die wirklich wilden Hund um zwei, drei Blaue Billard gespielt haben. Ich weiß, daß ich nicht der einzige war, den die Rosi damals von seiner Unschuld befreit hat. Sie war ganz scharf auf uns junge Buben. Und ich weiß, daß sie damals nicht nur uns gehabt hat, sondern auch diverse Liebhaber ihres Alters. Aber als sie dann schwanger war und die Rikki gekriegt hat, waren die vielen Lover weg. Und ich war da. Die Rosi wollte nie darüber reden. Macht sie bis heute nicht. Ich eigentlich auch nicht, aber vielleicht hilft Dir diese Information, lieber Doc, eine Frau besser zu verstehen, die in ihrem Leben weder eine wirkliche Chance noch einen richtigen Vater gehabt hat.
Der Doc beschließt, erst einmal gründlich auszuschlafen und das
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