Kurt Ostbahn - Platzangst
lassen.
Ich wollte von Brunner eine realistische Einschätzung der Lage, zum Beispiel was die Überlebenschancen von Axel, Ronnie und meiner Wenigkeit betrifft, falls wir durch eine Reihe blöder Zufälle die Kreise der italienischen Mafia gestört haben. Und ich wollte wissen, wie man den Doc davor bewahren kann, im Alleingang und eindeutig nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte Ermittlungen anzustellen, die ihn in tödliche Gefahren bringen könnten.
Vor drei Jahren zirka, als Brunner Jagd auf den Schlächter von Sechshaus gemacht hat und sich im Zuge dessen unsere Wege das erste Mal kreuzten, damals hätte ich präzise Auskünfte und tiefe, aus jahrzehntelanger Berufserfahrung genährte Einblicke in die seelischen Abgründe der verbrecherischen Existenz erwarten können. Jetzt aber geht es mir bei Brunner wie beim Doc: Beiden verstellt ein Haufen persönlicher Probleme zur Zeit den klaren, analytischen Blick. Beim Doc hat die Leiche im Keller alte Wunden aufgerissen. Und bei Brunner sind es neue Wunden, die er bereits ab Mittag mit Scharlachberg zu kurieren versucht.
Am liebsten würde ich mein Bier austrinken und wieder gehen, aber daheim warten nix als Chaos und Zugluft, und mir fallen ansonsten nur zwei Adressen ein, wo ich mich um diese Tageszeit ungestört alleingelassen fühlen kann, nämlich der Quell und das Rallye . Aber jetzt gleich wieder raus in den Regen und zurück nach Fünfhaus will ich auch nicht wirklich. Also entscheide ich mich, versuchshalber, für einen kleinen Weinbrand.
„Ich werd Ihnen was sagen, Herr Doktor“, sagt Brunner. „Ich sag Ihnen auf den Kopf zu, daß es kein Zufall is, daß Sie grad heut da vorbeikommen. Sie kennen den Wirt, den Tschida Pepi. Hat er mir erzählt. Und Sie kennen auch die Uschi.“
„Die Uschi?“ Ich kenn nur eine Uschi, und die auch nur von einmal sehen. Sie wohnt in Brunn am Gebirge und war letztes Jahr nach Weihnachten auf Teneriffa auf Urlaub, wo sie dem Trainer ins Auge gesprungen ist, was diesen dann für eine ganze Woche gesundheitlich ziemlich zurückgeworfen hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
„Meine Uschi. Freilich kennen Sie die Uschi“, beharrt Brunner. „Schwester Ursula. Meidlinger Unfall. Seinerzeit. Sie, der alte Wein-, na Sie wissen schon, und ich. Die fesche Oberschwester. Jetzt is sie Stationsschwester auf der zweiten Chirurgischen.“
Ich erinnere mich dunkel, wohl weil diesem Tag eine lange Nacht vorangegangen war, an meinen Besuch im Meidlinger Unfallkrankenhaus beim Herrn Josef, der überfallen und niedergeschlagen worden war, und ich erinnere mich, daß Brunner mit Fotos vorbeikam, mit deren Hilfe der Herr Josef den Täter identifizieren konnte. Und ich erinnere mich an eine resolute rothaarige Oberschwester, deren Interesse bald weniger ihrem welken Patienten als dem ermittelnden Brunner galt.
„Sie meinen die hantige Rothaarige damals?“ sage ich. „Aber was hat die mit dem Tschida-Peperl zu tun?“
„Nix“, sagt Brunner, „aber der Pepi und ich sind gestern ganz lang da verkommen, drüben an der Budel, und deshalb is er heut wahrscheinlich auch noch nicht da. War eine schwere Nacht, Herr Doktor, und das einzig Gscheite, das wir in den fünf Stunden nach Mitternacht besprochen haben, war, daß statistisch gesehen, der Polizist in zweiter Ehe am liebsten eine Krankenschwester heiratet, und die Krankenschwestern wiederum vorzugsweise Kieberer, das aber auch schon in erster Ehe. Is statistisch eine Tatsache. Da gibt’s Gemeinsamkeiten und Parallelen im Denken und in der Lebensführung, die bringen unsere zwei Professionen immer wieder zusammen. Ich sag nur: Helfer-Syndrom.“
Brunner gibt bei der Urlaubsvertretung per Handzeichen eine Großbestellung auf und beugt sich dann weit zu mir herüber: „Denken S’ einmal drüber nach, Herr Doktor.“ „Heißt das, Sie und die Schwester Ursula von damals . . .?“ „Ich bin seit bald einem Jahr geschieden, Herr Doktor. Wissen Sie das nicht? Nein. Das können Sie garned wissen. Weil so privat haben wir nie miteinander gredt. Ja, ja. Nach 23 Jahren Ehe. Glücklicher Ehe, möcht ich fast sagen, soweit das der Beruf zulaßt. Mein Bub, der Franz, is mittlerweile selber verheiratet. Und dann sowas. War keine leichte Entscheidung. War auch keine leichte Zeit. Das können Sie mir glauben. Weil: jetzt hab ich nix, und die Ex hat alles. Ich wohn bei der Uschi, oder eben da heraußen am Schafberg in ihrem Gartenhäusl. Aber eines sag ich Ihnen, Herr Doktor: Ich wollt
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