Kurt Ostbahn - Schneeblind

mich in meiner kargen Freizeit nicht mit dem kreativen Output gehirnamputierter Teenager befassen will. Dann hat mir der Trainer von den blinden Anrufen, dem aufgebrochenen Postkasten, dem kaputten Türschloß und seinem unsichtbaren Begleiter berichtet, der ihm nicht von der Seite weicht, seit er wieder in Wien ist. Ich hab’ ihn darin bestätigt, während unserer Plattenaufnahmen im schönen Ollersbach zu wohnen, und ihn auf geselchte Schweinsripperln mit Püree eingeladen, aber da ist er ausgezuckt und plötzlich gegangen, obwohl ...«
    »Lieber Freund«, unterbricht der Doc meine Sachverhaltsdarstellung. »Dein offen zur Schau getragenes Desinteresse an den vier Schriftstücken hat den Trainer verärgert und gekränkt - und wir wissen beide, daß er bei Gott keine Mimose ist. Was mich bei diesem unliebsamen Vorfall aber extrem beunruhigt, Kurt, ist der hoffentlich nur temporäre Verlust deines detektivischen Spürsinns. Konkret: Hättest du diese Faxschreiben ebenso genau studiert wie die Speisekarte des Herrn Quell, dann wüßtest du, daß die Besorgnis des Trainers absolut nicht unbegründet ist. Denn wir haben es hier, nach meinem Dafürhalten, nicht nur mit einem Lausbubenstreich zu tun.«
    »Sondern?« frage ich in die dramatische Pause des Doc.
    »Sondern a) mit einem Lausbubenstreich und b) mit dem ersten öffentlichen Auftreten einer schwer gestörten und höchst gefährlichen Persönlichkeit. Noch begnügt sie sich mit der faxmäßigen Verbreitung ihrer Gewaltphantasien, doch erfahrungsgemäß wird sie diesen Phantasien bald schon blutige Taten folgen lassen. Sieht also gar nicht gut aus.«
    »Verstehe«, sage ich. »Aber damit will ich nix zu tun haben, Doc! Mein detektivischer Spürsinn ist momentan auf Kur in Mönichkirchen, und ich bin ab Freitag mit der Kombo und dem Trainer in Ollersbach im Studio. Was wiederum mit unserer famosen neuen Bundesregierung zu tun hat, die das Frühpensionsalter für Rock’n’Roll-Musiker um fünf Jahre hinaufgesetzt hat. Was mich beruflich in eine Zwangslage bringt. Ich muß auf meine alten Tage noch mindestens fünf Jahre singen, tanzen und springen, ohne mich dabei zum Deppen zu machen. Daran wird ab Freitag gearbeitet, und die Problematik arbeitet schon seit Wochen leise, nagend und beharrlich in meinem Hinterkopf. Für unbedankte private Ermittlungen, auch wenn sie den Trainer betreffen, ist da momentan leider kein Platz, nicht einmal ein Platzerl frei. Sorry, Doc, aber auch uns politisch unliebsamen Kleingewerbetreibenden bläst von rechts oben ein ziemlich scharfer Wind ins Gesicht. So schaut‘s aus.«
    Ich will und kann nicht beschwören, daß ich genau das zum Doc gesagt hab, aber es ist mir während unseres Telefonats ganz genau so durch den Kopf gegangen.
    Und es rumort immer noch, während ich rastlos durch meine generalsanierte Altbaubleibe streife.
    Im Fernsehen bringt ein sehenswertes Kindermädchen in einem spektakulär kurzen und zebragestreiften Minikleid ihren Schutzbefohlenen ohne Ton schlechte Manieren bei.
    Der neue CD-Wechsler entscheidet sich noch einmal für Tito Puente, obwohl laut Betriebsanleitung jetzt Sarah Vaughan dran wäre, gefolgt von Kris Kristofferson, der für sein neues Album seine alten Hadern neu aufgenommen hat, vielleicht weil sie auch auf Hawaii das Frühpensionsalter für Singer-Songwriter um fünf Jahre hinaufgesetzt haben.
    Tatsache ist: Ich will nicht wieder ermittlerisch tätig werden, weil mir die private Ermittlerei in der Vergangenheit nix eingebracht hat außer ein paar Dutzend Hämatome, mindestens ebenso viele Bier/Fernet-Räusche als spontane Reaktion auf die tiefen Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele (ohne die ich heute ruhiger, vielleicht sogar eine ganze Nacht durchschlafen könnte) sowie ein emotionales Phänomen, das im gemeinen Schlager gern als »gebrochenes Herz« besungen wird.
    Andere private eyes ohne Lizenz haben ganz ähnliche, bittere Erfahrungen gemacht. Aber nicht in Wien-Fünfhaus. Ein wesentlicher Unterschied.
    In Miami, New York, Los Angeles, aber auch in Minneapolis, Des Moines oder Gallup, New Mexico, lohnt sich der persönliche Einsatz, weil der private Ermittler damit rechnen kann, mit seinen größten Fällen beim Fernsehen unterzukommen. Und eine, sagen wir mindestens 24-teilige TV-Serie heilt beinah alle Wunden.
    Aber den Ostbahn aus Wien-Fünfhaus hat noch nie jemand gefragt. Der darf zum Nulltarif Serienkiller und Massenmörder stellen, sich dabei zielgenau in die