Kurt Ostbahn - Schneeblind
leidenschaftlichen Gefühle für die schwarzhaarige Schönheit aus seiner Parallelklasse, der 6B.
Während der Trainer Noras Herz trotz seiner massiven poetischen Anstrengungen nicht und nicht erobern konnte, hatte ein Klassenkollege mehr Glück: der Rechberger-Andi, einziger Sproß eines Fahrschulimperiums. Ein Dutzend Filialen von Wien bis Wels.
Der Andi hatte alles, was der Trainer nicht hatte. Fesche Klamotten, immer Geld fürs Kino und einen ausgebauten Dachboden, der alle Stückln spielte, vom Wasserbett bis zur Quadrofonieanlage mit B&O-Plattenspieler. Ausserdem war der Andi nicht zwider, mehr der straighte sportliche Typ, aber ein fescher Bursch, für einige Zeit sogar in der Wiener Juniorenauswahl der Kunstspringer. Und im Stadionbad, wo die jungen Wassersportler zweimal die Woche trainierten, hat er sich eines Badetags im Mai die Nora gekrallt, die mit ihrer Busenfreundin Eva zur engeren Fangemeinde des Turmspringer-Nachwuchses gehörte.
Der Trainer, der es schon dazumals — was Sport und körperliche Ertüchtigung betrifft - mit Sir Winston Churchill hielt, hatte gegen den Andi also auch konditions-und-konstitutionsmäßig nicht das geringste Leiberl. Er mußte mitansehen, wie der Rechberger die Nora zu ihrem ersten Schulball ausführte, mit ihr die Tanzschule besuchte, sie im schulnahen Eissalon mit Pfirsich-Melbas und Bananen-Splits verwöhnte und die unerreichbare Schöne ein halbes Jahr vor der Matura ehelichte, weil sie von ihm schwanger war, im vierten Monat.
Auf der Maturareise, im Falle des jungen Paares auch ihre Flitterwochen, kam es dann zur Tragödie.
Nora und Andi Rechberger kollidierten in ihrem gemieteten Elektroboot am Gardasee mit einem Wasserskifahrer, der die Kontrolle über seine Fahrkünste verloren hatte. Der junge Mann rammte das Boot mit voller Wucht und brach sich das Genick. Nora wurde von einem Wasserski getroffen und durch den Aufprall aus dem Boot geschleudert. Der Andi hechtete hinterher und brachte die Bewußtlose sicher ans Ufer. Im Krankenhaus stellte man eine Lungenquetschung und Serienrippenbrüche fest. Noch in derselben Nacht hatte Nora eine Fehlgeburt und verlor ihr Baby.
Nach diesem Schicksalsschlag verschwand Nora für mehr als zwei Jahrzehnte aus dem Leben des Trainers. Seine erste große Liebe war nun Andi Rechbergers Frau, und die übersiedelte nach Linz, wo das Fahrschulimperium nach dem Tod des alten Rechberger sein Hauptquartier aufschlug. Der Andi mußte schleunigst den Platz seines Vaters einnehmen. Nora wurde nicht gefragt, was sie will.
Heute heißt Nora jedenfalls nicht mehr Rechberger. Sie hat wieder ihren Mädchennamen angenommen. Richter. Und sie wohnt wieder in Wien, in einer Genossenschaftswohnung am Grünen Berg. Sonnenseitig, mit Blick auf den Schönbrunner Schloßpark. Nur einen Hupfer von der Meidlinger Mansarde des Trainers entfernt. Keine schlechte Adresse.
»Und wann genau hat die Nora bei dir auf der Couch übernachtet?« fragte ich den Trainer.
»Also, dem Doc kann man echt nix erzählen. Der is eine Tratschen erster Ordnung«, klagte der Trainer. Dann rechnete er nach. »Das war in der Nacht vom zweiten auf den dritten Februar. Und danach hat der ganze Horror begonnen. Du könntest ausnahmsweise richtig liegen mit deiner Theorie, Kurtl. Irgendein Narr sekkiert mich seit dem Tag an die ganze Zeit, und glaubt, er sekkiert damit auch die Nora.«
»Was bedeutet, daß er die Nora schon des längeren kennt, im Visier hat oder ihr nachsteigt«, sagte ich. »Ich würd ein Gipfeltreffen vorschlagen, Trainer, wo wir uns mit deiner Jugendliebe zusammensetzen und uns ihre Einschätzung der Lage anhören.«
»Schwierig«, sagte der Trainer.
»Sie wird doch ein Telefon haben am Grünen Berg, oder? Der is ja nicht aus der Welt?«
»Ich hab nur ihre Handynummer.«
»Und?«
»Da meldet sich eine jüngere Frauenstimme mit >Ja, bitte?< Komisch, irgendwie.«
»Was willst du mir damit sagen, Trainer? Daß du deinen alten Schwarm auf deiner Couch übernachten läßt, ohne davor oder danach sämtliche Daten und Telefonnummern auszutauschen?«
»So zirka«, meinte der Trainer. Sein anfängliches Hochgefühl hatte einer plötzlichen, deutlich hörbaren Niedergeschlagenheit Platz gemacht.
»Ich will dich ja nicht unnötig quälen, aber wie kann man die Dame bald einmal erreichen? Und wie war das mit dem Zimmerbrand, weswegen sie bei dir auf der Couch gelandet ist?« wollte ich wissen, wohl wissend, daß der Trainer nur noch das Nötigste sagen
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