Kurt Ostbahn - Schneeblind
eine konstruktive Frage hinterherzuschicken, um ihn nicht noch mehr zu reizen.
»Weiß nicht«, überlegt er. »Eigentlich, seit ich von Teneriffa zurück bin. Und das ist jetzt zweieinhalb Wochen her.«
»Irgendein spontaner Verdacht?«
Der Trainer schüttelt den Kopf.
»Aber permanent ein ungutes Gefühl. So als hätte ich einen unsichtbaren Verehrer, der mich nicht aus den Augen läßt, sobald ich aus dem Haus geh’. Und wenn ich daheim bin, dann läutet im Stundentakt das Telefon, aber niemand ist dran. Egal ob ich abhebe oder der Anrufbeantworter in Betrieb ist. Das nervt, Kurtl. Das nervt so sehr, daß ich mir schon überlegt hab’, draußen beim Ricky Gold zu bleiben, wenn wir am Freitag ins Studio gehen. In Ollersbach bin ich weitab vom Schuß, dort schaut mir das Arschloch nicht Tag und Nacht über die Schulter. Und dort bin ich immer unter Menschen, für den Fall, daß der Unsichtbare kein Verehrer, sondern ein Wahnsinniger ist, der nur auf die passende Gelegenheit wartet, mich zu schnetzeln. Scheiße, Kurtl. Glaubst, hab’ ich Paranoia?«
»Schwere Frage«, sage ich. Ich weiß nur, daß der Trainer seine bescheidene, aber sonnige Bleibe auf Teneriffa verlassen hat und in seine unwirtliche Heimat zurückgekehrt ist, um in den nächsten drei Wochen in Ricky Golds Tonstudio im idyllischen Ollersbach die Aufnahme-Sessions des nächsten Kurt Ostbahn & Die Kombo-Albums zu überwachen. Das hat bei uns so Tradition. Die Musikanten musizieren und trinken Bier. Der Trainer raucht Smart und trinkt Bier. Und irgendwann sagt er, ob ihm gefällt, was da aus den Lautsprechern kommt. Hin und wieder wird über sein Urteil heftig diskutiert, meistens aber nimmt man es kopfnickend zur Kenntnis und läßt sich durch seine fachkundigen Kommentare nicht vom richtigen Weg abbringen. Deshalb steht sein Name, versehen mit der Berufsbezeichnung Co-Produzent, auf allen unseren Platten.
»Also die Idee, ab Freitag draußen beim Ricky Gold dein Tipi aufzuschlagen, find ich angesichts der seltsamen Vorkommnisse mehr als ratsam«, sage ich. »Und noch ein Vorschlag, Trainer: Wir bestellen uns jetzt Ripperln mit Püree. Nach dem Essen schaut die Welt oft gleich viel freundlicher aus.«
»Ich will keine Ripperln«, trotzt der Trainer, »ich will überhaupt nix essen. Mir graust. Ich freß’ seit Tagen so gut wie nix.«
»Davon kriegt man Halluzinationen«, warne ich.
»Wie bitte?« Der Trainer zieht seine linke, hysterische Augenbraue hoch.
»Hab’ ich wo gelesen. Hunger erzeugt Wahnvorstellungen. Also Ripperln, ja oder nein? Ich brauch jetzt jedenfalls was Gscheites in den Magen.«
»Nein«, faucht der Trainer und steht auf. »Friß deine Ripperln allein und sauf deinen Tee! Wir sehen uns am Freitag!«
Er hat in Windeseile seinen Winterjanker an, die Smart und das Bic-Feuerzeug in eine der vielen tiefen Taschen gepackt, und stürmt hinaus in den eisigen Februarnachmittag, ohne daß ich seinem Problem auch nur annähernd auf den Grund gehen konnte.
»Alles in Ordnung, so weit, Kurtl?« erkundigt sich der Quell-Poldl und schaut dem Trainer hinterher.
»Sowieso«, lüge ich. »Apropos. Ich hätt gern die Schweinsripperln mit Püree.«
»Leider«, sagt der Poldl. »Die san schon aus.«
3
38,9°C.
Doktor Trash will telefonisch wissen, ob mir noch zu helfen ist. Dabei hört er sich selbst ziemlich hilfsbedürftig an. Schwere Rüsselseuche, wenn nicht sogar eitrige Nebenhöhlen.
»Wie meinst du das, Doc?« sage ich in das weiße Dach des himmelblauen 57er-Chevy, der natürlich kein antikes Automobil im Sinne des Wortes ist, sondern eine handliche Nachbildung aus Blech und Plastik mit integriertem Schnurlostelefon.
»Wie ich das meine?«
Der Doc seufzt, schnaubt oder niest mir ins Ohr.
»Der Trainer war zu Besuch an meinem Krankenlager. Der gute Mann ist das sprichwörtliche Häufchen Elend, und du speist ihn ab mit Hausmannskost! Er hat ein ernsthaftes Problem, und ich finde es geradezu zynisch, ihn mit Kartoffelpüree und irgendwelchen Selchwaren ruhigstellen zu wollen!«
»Momenterl!« sage ich, weil mir der schulmeisterliche Ton des Doc massiv auf den Zeiger geht. »Erstens zählen geselchte Schweinsripperln meines Wissens nicht zu den Sedativa, zweitens waren sie ohnehin gut aber aus, und überhaupt versteh’ ich deine Empörung nicht. Ich hab’ die Faxe gelesen, Doc, hab’ anteilsmäßig geschmunzelt, innerlich den Kopf geschüttelt und mich gegiftet, und sie danach dem Trainer wieder zurückgegeben, weil ich
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