Kurt Ostbahn - Schneeblind
36. Das kann sich also irgendwie nicht ganz ausgehen«, meint Nora. »Aber der Boris hat sich noch nie beschwert.« Sie wendet sich an Gerda. »Das soll er sich trauen. Dann entzieh ich ihm für eine Woche beinhart meine getragenen Strumpfhosen!«
Gerda lacht. Nora lacht.
Lachen ist gesund. Und Spaß muß sein. Aber mich beschleicht schön langsam eine leise Ungeduld. Die Damen kudernd und scherzen, während ein Mann ums Haus schleicht, der eventuell einem weniger harmlosen Hobby frönt als Boris, der Sammler.
»Folgendes«, sage ich. »Ich weiß jetzt ziemlich Bescheid über den Boris. Interessant. Amüsant. Was mich aber viel mehr interessiert: Wenn angeblich weder der georgischer Fetischist noch unser Freund Kreuzschinder heute hier eingedrungen ist, dann sollten wir schleunigst gemeinsam der Frage nachgehen, wer aus dem Bekanntenkreis dafür in Frage kommt. Also: Gibt’s im Noroticom-Computer so was wie eine Kundenkartei? Ich schätze schon. Vielleicht kann man da unter der Rubrik »Vorlieben und Obsessionen« nachschauen und kriegt dann eine Liste von Kunden, die auf Knebeln und Fesseln mit schwarzem Klebeband abfahren? Oder auf Pharao-Spiele und Sex mit Mumien, was weiß ich?«
»Sex mit Mumien?« kichert Gerda. »Super.«
»Schluß jetzt!« mahnt Nora ihre Zofe zur Ruhe. Dann erklärt sie mir in allen Einzelheiten, daß es natürlich eine solche Kundenkartei gibt, diese jedoch im Moment nicht verfügbar sei. Was wiederum damit in Zusammenhang steht, daß der junge Mann, den ich draußen an der Tür getroffen hab, also Paul Körner, nicht länger für Noroticom tätig ist und im Zuge seines Auszugs mit allerhand üblen Tricks nicht nur Daten kopiert, sondern auch einen Teil der von ihm installierten Computeranlage außer Betrieb gesetzt hat. Zum Beispiel auch die Kundenkartei, inklusive Buchhaltung. Seit einem Monat sind Bekannte, die was davon verstehen, mit der Behebung des Schadens befaßt, aber bis Noroticom wieder wie am Schnürchen funktioniert, können noch Wochen vergehen.
»Aber eins weiß ich, auch ohne Kundenkartei: Wir haben keinen Mumienfetischisten. Daran würd ich mich erinnern. Das war endlich einmal was Neues. Und mit Klebebandvirtuosen können wir auch nicht dienen«, sagt Nora.
»Die sind wir nämlich selber«, lacht Gerda.
»Und was spricht gegen den Kohout?« frage ich. »Der ist auf der Suche nach Nora, er kennt Sie, Fräulein Gerda, nehm ich an auch aus dem Internet, und seine letzte Botschaft als Kreuzschinder ...«
»Aso, Kohout haßt der Kreuzschinder!?« fällt mir Gerda ins Wort. »Na, der is komplett anders drauf. Der hätt mich abgemurkst oder zumindest mit mir seine Michaela-Nummer abgezogen. Dann hätt ich jetzt aber nicht nur einen Brummschädel und kaputte Klamotten von dem Scheißklebeband. Ich wär entweder mausetot oder hätt einen Hintern so lila wie die Milka-Kuh. Das war nicht der Hannes oder die Michaela oder wie er auch heißt. Garantiert nicht. Nora, den Pick krieg ich beim Waschen nie wieder raus, oder?«
»Die Sachen kannst alle wegschmeißen«, meint Nora. »Wir machen das wie nach dem Zahnarzt. Weil du so tapfer warst, darfst du dir was Hübsches aussuchen.«
Zofe Gerda küßt Herrin Nora spitz auf den Mund, trinkt dann in einem Zug ihr Cola leer und rülpst von Herzen.
»Ganz zufrieden bin ich nicht mit Ihrer Anti-Kreuzschinder-Theorie, Fräulein Gerda«, sage ich.
»Er sagt immer Fräulein Gerda«, kichert die Zofe und schmiegt sich in Noras Schoß.
»Ich sag ja«, schmunzelt Nora, »er is ein ganz, ganz Netter. Wo findet man heute noch einen Mann mit Manieren?«
»Fast so nett wie der Trainer?« erkundigt sich Gerda, ehe sie ohne Vorwarnung die Augen schließt und in Noras Schoß einschlummert.
»Der Kreuzschinder«, rede und sinniere ich für mein weibliches Fachpublikum vor mich hin, das jetzt im Moment aber viel lieber kuschelt als aktiv mitzuarbeiten. »Der Kreuzschinder wollt heute eventuell nur seine Visitenkarte deponieren, sich dabei im Institut seiner langjährigen Erzieherin ein bißl umschauen, und Gerda hat ihn dabei überrascht. Keiner weiß, wie der Typ da oben in seinem Hirnkastl tatsächlich funktioniert. Angekündigt hat er dem Trainer, also eigentlich dir, Nora, daß er sich die Verkäuferin der D&G-Boutique vis-a-vis von seiner Wohnung vornehmen will, überfallen hat er dann aber seine zweite Wahl, die Kassiererin vom Mondo-Markt. Seit gestern wissen wir außerdem, daß er so einiges über dich herausgefunden hat. Der Mann ist
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