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Kurt Ostbahn - Schneeblind

Kurt Ostbahn - Schneeblind

Titel: Kurt Ostbahn - Schneeblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenter Broedl
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Rot.

23
    TRAINERPOST.
    »Na endlich«, sagt der Trainer und winkt mich in seine Meidlinger Mansarde. »Bier?«
    »Niemals«, sage ich, »vorm Mittagessen.«
    Im Vorzimmer herrscht dieselbe Sauwirtschaft wie immer. Der Trainer archiviert hier alte Jahrgänge von »Rolling Stone«, »Uncut«, »Variety« und »Spin« und stapelt dazwischen ungeordnet Ausgaben von »Spiegel«, »Skin Two« und »profil«. Darüber türmen sich ausrangierte Videocassetten und Taschenbücher ebenso leicht verständlichen wie blutrünstigen Inhalts, sowie die Postwurfsendungen der letzten zweieinhalb Jahre.
    Er schmeißt meinen Winterrock auf zwei wacklige Zeitschriftentürme, weil sein Garderobenständer unter allen seinen Übergangsjacken und Winterpelzen ächzt und jeden Moment unter der schweren Last zusammenzubrechen droht.
    »Sag nix, Kurtl«, sagt der Trainer und treibt mich vor sich her ins Wohnzimmer. »Sag nix, bevor du das gesehen hast.«
    Ich weiß wie so oft nicht, was der Trainer meint.
    Sein Wohn- und Arbeitsraum wird beherrscht von zirka eintausend grellgelben Memozetteln, die überall kleben, wo sie eigentlich nicht hingehören. Auf der Glastür, den Fensterscheiben, durch die man an sich einen wunderbaren Blick auf die verschneiten Hänge des westlichen Wienerwalds hätte, sogar auf den gerahmten Konzertplakaten picken die kleinen gelben Helfer, auf denen der Trainer mit kleinwinziger Handschrift wahrscheinlich wichtige Gedankenblitze und poetische Einfälle notiert hat. So schaut also die Werkstatt des Dichters aus. Gott sei gedankt, daß ich meine Songs nur singen muß.
    Ich weiß nicht, wo ich mich hinsetzen soll und darf.
    Die Couch vorm Fernseher (mit dem neuen DVD-Player) ist zwar weitgehend memofrei, dafür lagern dort die Reste des heutigen Frühstücks oder gestrigen Mitternachtssnacks. Der Zustand der Extrawurst und die gestockte Kaffeemilch weisen sogar eher in Richtung vorgestern.
    Am Computer ist noch ein Plätzchen frei. Der Bildschirmschoner zeigt Bettie Page, halbnackt und in Bedrängnis. Das Buch, aus dem das Foto stammt, hat ihm, weiß ich, der Doc letzte Weihnachten geschenkt. Niemand wird je erfahren, wie der Trainer die bezaubernd hilflose Bettie aus dem Bilderbuch auf seinen Computer-Monitor gezaubert hat. Es geht nämlich das Gerücht, daß er mit seinem Datengerätepark ungefähr so auf du ist wie mit der Straßenverkehrsordnung, und der Trainer steht bekanntermaßen in dem Ruf, der schlechteste Autofahrer dies- und jenseits unserer Milchstraße zu sein.
    Vielleicht wollte Bettie Page einfach nur raus aus ihrem Gefängnis zwischen Buchdeckeln und hat dem Trainer so lang schöne Augen (und vage Versprechungen?) gemacht, bis er endlich zum ersten Mal einen Blick in die Gebrauchsanweisung seines Scanners geworfen und dadurch das Unmögliche möglich gemacht hat? Bettie Page war ihrer Zeit schließlich immer schon weit voraus. Aber ob sie am Bildschirm des Trainers wirklich glücklich wird? Da gibt’s mindestens sechs Monate im Jahr nix zu schonen, weil sich der Trainer nicht an ihrem erfreulichen Anblick laben kann, da er auf seiner kanarischen Vulkaninsel unter Palmen hockt und sinniert.
    Jetzt aber deutet er auf seinen CD-Player.
    »Merken«, sagt er streng. Dann kramt er zwischen Frühstück, Snack und Computerausdrucken zukünftiger Songtexte einen orangen Umschlag hervor. »John Scofield. Die pure Groove.«
    Ich hab bisher nicht auf die Musik geachtet. Mir ist auch keine wirklich aufgefallen. Jetzt spitze ich das Ohr und höre tatsächlich, was der Trainer für dringend bemerkenswert hält. Die pure Groove, viele Minuten lang auf der vergeblichen Suche nach einem Song.
    »Alles klar«, sage ich, weil ich mich nicht wegen einer musikalischen Grundsatzdebatte vom Zehnten nach Meidling getummelt hab. »Und jetzt zeig her! Was hat dir der Kreuzschinder da persönlich zugestellt?«
    Der Trainer drückt mir das Kuvert in die Hand.
    »Ich war einen Sprung unten. Den Mist in den Hof tragen und aus dem Vorhaus die Post holen. Und wie ich wieder zurückkomm’ mit dem Lift, liegt das Kuvert im Vorzimmer am Boden hinter der Tür. Durchgeschoben, unter der Wohnungstür. Ich war vielleicht zwei Minuten weg. Maximal. Aber ich hab weder im Hof noch im Stiegenhaus und im Aufzug irgendjemand gesehen. Der Kohout is mir echt nimma wurscht ...«
    »Kluge Einstellung, Trainer«, sage ich und nehm mir den Inhalt des Umschlags vor.
    Ein handschriftlicher Brief. In Großbuchstaben. Eilig geschrieben mit schwarzem

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