Kurt Ostbahn - Schneeblind
Designerzwirn in einem dieser innerstädtischen Champagnertreffs, wo dem Stammgast zu später Stunde am Designerklo von angehenden Models und verhinderten Missen ein Cocktail aus Koks und Oralsex gereicht wird. Ich werd Nora fragen müssen, was einen richtigen Gummisklaven ausmacht und woran ihn auch der Laie erkennt. Mit meiner Vorstellungsgabe ist es diesbezüglich anscheinend nicht weit her.
»Ostbahn«, sage ich, als Paul mit seinem Wiehern fertig
ist.
»Ostbahn? Wie der Prolo-Sänger?«
Damit sammelt der junge Unternehmer erste Minuspunkte.
»Genau so.«
»Aber mit ihm nicht irgendwie verwandt oder verschwägert, hoff ich stark für Sie?«
»Nein«, sage ich. »Weder noch.«
»Denk ich mir, denn Sie schauen ihm überhaupt nicht ähnlich.«
Und wieder wiehert Noras Gummihengst.
Ihm vergeht schlagartig das Scherzen, als eine weibliche Kommandostimme seinen Namen ruft. Er zuckt zusammen und läßt vor Schreck die Schlüssel fallen.
Bei mir hat er soeben jeglichen Sympathiekredit verspielt, obwohl mir natürlich bewußt ist, daß der Musikgeschmack des aufstrebenden Machers aus einer Zukunftsbranche wie der des Kommunikationswesens nicht unbedingt in die Richtung von historisch wertvollem und emotional nahrhaftem Favorit’n’Blues tendiert.
Bei Nora sind Paul Körners Aktien offenbar aber schon länger im Keller.
Sie fegt, soeben dem Taxi entstiegen, auf das Gartentor zu. Die Schöße ihres langen schwarzen Mantels flattern im Sturm. Ihre Hände sind zu Fäusten geballt. Ihre Nasenflügel beben vor Zorn. Und ich finde, sie sieht auch wutschnaubend absolut hinreißend aus.
Der fesche Paul hat keine Gelegenheit, auch nur irgendwas zu finden, nicht einmal seine Fassung.
»Was willst du da? Du hast hier nix mehr zu suchen!« faucht Nora und schaut funkelnden Blicks auf ihn hinab. Sie ist zwar mindestens einen Kopf kleiner als er, aber der junge Mann ist in Sekundenschnelle zu einem kleinwinzigen Männchen geschrumpft.
»Ich hol nur meine ...« sagt es kläglich.
»Du holst gar nix, Paul! Absolut gar nix! Wir haben eine Vereinbarung. Und daran wirst du dich halten! Kapiert?«
Nora tritt mit ihrem Winterstiefel auf den Schlüsselbund im Schnee, grad als Paul sich danach bücken will.
»Aber das sind meine ...« krächzt er.
»Ah ja?« Nora verschränkt die Arme vor der Brust, und die Stiefelspitze wippt über dem Schlüsselbund auf und nieder. »Das sind deine Schlüssel zu meinem Haus. Und weil ich dich in meinem Haus nicht mehr sehen und haben will - die Gründe brauchen wir vor Publikum ja nicht auszubreiten, oder hast du Lust dazu, Paul ...?«
Paul steht da wie ein Schulbub in einer viel zu großen, viel zu teuren Lederjacke und schüttelt stumm den Kopf.
»... denk ich mir. Ja, und weil du hier nichts mehr verloren hast, brauchst du auch keine Schlüssel zum Haus. Logisch, oder? Und was dein Zeug da drinnen betrifft, werden wir — wie besprochen — die Entscheidung des Anwalts abwarten. So war’s doch abgemacht, oder? Ich halte mich an unsere Abmachungen. Du aber tanzt hier an, wann immer es dir paßt, schleppst in meiner Abwesenheit Dinge weg und kopierst dir Daten runter, die dir weder gehören noch länger zustehen!«
Paul fährt sich mit dem Handrücken über die in der Saukälte triefende Nase.
»Dazu nimmt man ein Taschentuch« bemerkt Nora. »Merk dir das endlich. Und jetzt geh!«
Der Mitbegründer von Noroticom verläßt ohne ein Wort des Abschieds, mit hängenden Schultern und tropfender Nase den Schauplatz seiner öffentlichen Demontage.
Ich schau ihm schweigend nach, wie er zu seinem kessen roten Zweisitzer trabt, die Hände tief in den Taschen der Lederjacke vergraben, während Nora seinen Schlüsselbund vom Boden aufhebt.
Und was, bitteschön, war das jetzt? Eines von Madame Noras strengen Rollenspielen? Oder eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen Geschäftspartnern mit gemeinsamen erotischen Interessen?
Ich kann’s nicht sagen. Ich steh daneben. Und außerdem zu lang schon in der Kälte. Nora reißt mich aus meiner Grüblerei, indem sie mich in die rechte Wange zwickt, »Hallo« sagt und: »Danke, daß du da bist. Tja. Das kommt davon, wenn man alles auf einmal haben will. Selber schuld, Frau Richter. Selber schuld.«
»Der junge Mann ...« sage ich, aber Nora legt im Moment keinen Wert auf meine aktive Mitarbeit.
»Sex und Busineß. Vergiß es, Kurt. Finger weg. Das geht nicht gut. Es funktioniert eine Zeitlang, und was hab ich jetzt: nicht ein Ende mit
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