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Kurt Ostbahn - Schneeblind

Kurt Ostbahn - Schneeblind

Titel: Kurt Ostbahn - Schneeblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenter Broedl
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Filzschrift auf einem weißen
    A4-Blatt ohne Wasserzeichen. In der Anlage ein halbes Dutzend Fotos.
    SEHR GEEHRTE MADAME!
    ALS SCHÜLER UND ABSOLVENTEN IHRES INSTITUTES ERLAUBEN WIR UNS, IHNEN DIE GRÜNDUNG DES CLUBS SEVERIN ZU AVISIEREN. ES WÄRE UNS EINE GROSSE FREUDE, WENN SIE UNSEREM EXKLUSIVEN ZIRKEL ALS EHRENPRÄSIDENTIN VORSTEHEN WÜRDEN UND DAHER VERLEIHEN WIR IHNEN FÜR IHR UNERMÜDLICHES WIRKEN, IHRE GÜTIGE HÄRTE UND STRENGE HAND DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE IN GOLD
    †
    Die sechs Fotos in der Anlage zeigen einmal (unscharf) Kreuzschinders (?) geschundene Hinteransicht, sowie vier Prominente aus Wirtschaft, Kultur und Geldadel, deren Gesichter und tiefschürfende Aussagen über Gott und die Welt jeder im Land aus den »Seitenblicken« kennt. Auf diesen Bildern stehen die Herren aber nicht mit steifer Hemdbrust an der Bar, sitzen nicht in der Ehrenloge vor einem Glas Schampus und fadisieren sich auch nicht königlich bei noch einer Vernissage, Theaterpremiere oder Zirkusgala für irgendeinen guten Zweck.
    Hier posieren sie im Obergeschoß des Noroticom-Hauptquartiers für die Kamera. Ihre Kostüme sind — sofern überhaupt vorhanden - zumindest gewagt. Und ihr Mienenspiel erzählt Geschichten, die man in den »Seitenblicken« nicht zu hören kriegt; Geschichten über die Lust an heißem Kerzenwachs oder die Freude am Kindsein mit 60, komplett mit Schnuller und Strampelhose.
    Der sechste in dieser illustren Runde ist ein lachender Trainer am Flaschenzug.
    Er schaukelt in Noras strenger Kammer an dem elektrisch betriebenen Foltermöbel, das heute für Novizin Gerda vorgesehen war, und trägt dabei seine ausgelatschten Cowboyboots, schwarze Jeans und ein großkariertes Holzfällerhemd.
    Erstaunlich.
    Wie ich mittlerweile weiß, gibt es der Fetische viele bzw. kann alles und jedes zum Objekt der Begierde werden, aber ich hätte den Trainer eher in der Sektion Petticoats und Perlonstrümpfe vermutet. Also, damit da keine Mißverständnisse aufkommen: Ich meine nicht den Trainer in Petticoats und Perlonstrümpfen, sondern als Liebhaber dieser (seinem Rock’n’Roll-State-of-Mind entsprechenden) Kleidungsstücke am anmutigen Körper einer Bettie-Page-mäßigen Lady.
    Aber so kann man sich täuschen. Zuerst Paul Körner, dann Gerda, und jetzt auch noch der Trainer.
    »Ein Bier«, sag ich, und er trabt ohne Kommentar und Widerrede in die Küche.
    Mir geht allerhand durch den Kopf. Und das verdammt schnell und unsortiert. Der Opernball. Die D&G-Boutique in der Schönbrunner Straße. Die Begehung von Noras Sklavenparadies. Die heurige Herrenabfahrt in Kitzbühel. Mauseloch. Al Pacino im grandiosen Snowdown von »Scarface«. Zofe Gerda und ihr Adrenalin-Rush. Bettie Page und die Einsamkeit des Bildschirmschoners. Der Trainer in seinem kanarischen Bungalow. Nora und Ella. Der CD-Wechsler und Kris Kristofferson. Der Doc und Doktor Fu Man Chu. Geselchte Ripperln und Püree. Der Herr Josef und der Polifka-Rudl. Neil Young und kanadische Holzfällerhemden.
    Der Trainer am Flaschenzug.
    »Salud«, sagt er und hält mir eine Dose Gösser hin. »Is dir was, Kurtl?«
    »Wär’s ein Wunder?« frage ich matt.

24
    HENRY & JUNE.
    »Heavy«, seufzt der Trainer und futtert seinen CD-Player mit Led Zeppelin. »Sie is mit mir in die Schul gangen, ich war ihr als Pubertierender zirka eineinhalb Semester lang hörig und hab ein halbes Menschenleben später eine schicksalsschwere Nacht mit ihr verbracht. Aber daß ich mir damit gleich auch einen Kreuzschinder eintrete und jetzt mit Material für eine Millionenerpressung versorgt werde, von wem und aus welchen Gründen auch immer ...«
    »Folgendes, Trainer«, sage ich. Led Zeppelin geben »Dazed And Confused« in einer mindestens halbstündigen Live-Version und machen einem damit das Fassen und Festhalten eines klaren Gedankens nicht eben leichter. »Ich hab so den Verdacht, es wär an der Zeit, alle Karten auf den Tisch zu legen. Also. Was is da wirklich los, mit dir und der Nora?«
    »Nix«, fängt der Trainer an. Aber diese Platte kenn ich schon.
    »Und wie, Herrschaftszeiten, kommst du dann auf ihren Flaschenzug?« werde ich lauter, als mir lieb ist, und halte ihm das entsprechende Foto unter die Nase.
    »Gute Frage«, sagt der Trainer.
    »Ich weiß«, sage ich. »Und? Überrasch mich jetzt bitte mit einer mindestens ebensolchen Antwort.«
    »Wir haben den Motor repariert.«
    »Den Motor repariert?«
    »Genauer gesagt die Seilwinde. Und wie das Ding endlich wieder funktioniert hat,

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