Kurt Ostbahn - Schneeblind
zur Kapitulation zwingen, sollte er tatsächlich vorgehabt haben, seine blutigen Kreuzschinder-Drohungen wahr zu machen.
»Wo sind hier die Toiletten?« fragt er jetzt den Herrn Josef.
»Durchs Extrazimmer und dann rechts, aber nehmens lieber die Sonnenbrille runter, im Zimmer is kein Licht«, weist ihm mein Wirt den Weg.
»Mayday, mayday«, meldet sich der Trainer gleich darauf flüsternd. »Der Körner is unterwegs aufs Klo, vermutlich, um sich dort sein Frühstück in die Nase zu ziehen.«
Gleich darauf kommt aus dem Hinterzimmer ein Poltern und Scheppern, gefolgt von einem unterdrückten Schrei.
»Was hab i gsagt? Sonnenbrille abnehmen, hab ich gsagt!« ruft der Herr Josef nach hinten.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, nehme ich die Kopfhörer ab, verlasse meinen Posten und jage am Herrn Josef und dem Trainer vorbei hinter den schweren grünen Filzvorhang ins Halbdunkel des Extrazimmers. Kein Körner. Nur die traurige Sonderschau von leeren Schnapsflaschen aus aller Welt. Die Tür zur Herrentoilette steht offen. Drinnen brennt Licht. Und davor liegt Paul Körners edle Sonnenbrille auf dem Boden. Ein Blick aufs Klo, nur um sicherzugehen: kein Körner. Kein goldener Taschenspiegel. Kein eingerollter Fünftausender. Kein goldenes Feuerzeug. Keine goldene Nadel.
Ich renn zurück in den Schankraum und weiter zur Eingangstür.
»Er is hinten raus, durch den Hof!« halte ich Trainer und Gastwirt auf dem laufenden. Der Notausgang des Rallye führt vom Klo in den Hinterhof mit einem Schuppen, der dem Herr Josef früher als Lagerraum gedient hat. Über den Hof und Hausflur gelangt man auf die Sechshauser Straße, kann so also unbemerkt einen Abgang machen, wenn man nicht ganz so cool ist wie Paul Körner und im Finstern seine Sonnenbrille abnimmt.
Oder der Paul Körner hat gar keinen heimlichen Abgang gemacht.
Diesen Eindruck hab ich, als ich hinaus auf die Straße trete und nach seinem roten Japaner Ausschau halte. Der parkt schräg gegenüber vor dem neuen Bipa-Drogeriemarkt.
Aber der Körner geht nicht zu seinem Wagen, sondern flotten Schrittes zu einem schwarzen Mercedes. Und er ist in Begleitung. Der Mann an seiner Seite trägt eine schwarze Pudelhaube und einen roten Anorak und ist mehr breit als hoch. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber es sieht ganz so aus, als hätte er eine Pistole in seiner linken Tasche, die auf Körners Nieren gerichtet ist.
Durchaus im Bereich des Möglichen, daß Paul Körner jetzt nicht ganz freiwillig in den Mercedes steigt.
Ich beschließe, nicht danach zu fragen.
Geht mich ja nix an. Im Grunde.
31
SÜSSE JAUSE.
»Entführt?«
»Entführt. Am hellichten Tag. Vor meinen Augen. Aus dem Rallye«, sage ich.
Der Doc sagt, daß ihn diese Wendung im Fall Kreuzschinder-Körner ehrlich überrascht und er in der Eile keinen Ersatzplan parat hat. Er muß nachdenken und wird sich am Geheimhandy des Trainers mit einem Vorschlag zur weiteren Vorgehensweise melden. Dabei klingt er nicht krank, sondern gekränkt. Es ist gar nicht seine Art, Vorschläge zu machen. Vom Doc ist man Direktiven gewöhnt.
»Und?« fragt Gerda.
»Schaut gar nicht gut aus«, sage ich.
Der Trainer und ich sind im Haus der 1000 Spiele wieder mit Gerda und Nora vereint, die wie wir Rätselraten, wer denn aus welchem Grund den Paul Körner aus dem Cafe Rallye in einen schwarzen Mercedes entfuhren sollte. Dazu gibt’s eine süße Jause. Während ich mit dem Doc telefoniere, kocht Nora Kaffee und der Trainer deckt mit Gerda den Tisch im Wohnbüro. Wir haben dem Herrn Josef die Hälfte der Frühstückseinkäufe überlassen und die andere Hälfte den Damen mitgebracht, als kleinen Trost dafür, daß wir nicht Entwarnung geben können. Wir waren mit dem Körner noch lang nicht fertig, als ihn uns ein unbekannter Täter von würfelförmiger Statur vor der Nase weggeschnappt hat. Um was mit ihm anzustellen? Und warum? Sollte er bei der Erpressung der prominenten Club Severin-Mitglieder an einen zahlungsunwilligen Klienten geraten sein, der den Körner hat ausforschen lassen und ihm jetzt gerade eine Moralpredigt hält, zum Beispiel darüber, daß es sich für einen Sklaven ganz einfach nicht geziemt, einen Kollegen zu erpressen?
»Das heißt, wir sitzen da und warten, bis sich der Entführte meldet?« fragt der Trainer in die Runde. »Wunderbar.«
»Sag nur, dir gefällt‘s nicht bei uns«, sagt Gerda und kneift ihn, diesmal in den Hintern. Dem Trainer mißfällt das. Oder er tut auch nur
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