Kurt Ostbahn - Schneeblind
Teller legt. »Den haben sie mit einem zu hohen IQ und einem zu massiven Gefühlsdefizit an den Start geschickt. Als ich ihn kennengelernt hab, im Studio am Wilhelminenberg, war er zirka so emotionsgeladen wie die IBM-Großrechner, an denen er damals gearbeitet hat. Hundert Prozent Hirn und schlaue Sprüche. In Wahrheit wollte er endlich was spüren, sich spüren. Er hat mich so lang gereizt und provoziert, bis ich es ihm so extrem besorgt hab, daß mir dabei selbst ganz anders wurde. Danach hab ich ihn im Arm gehalten, und er hat geheult wie ein kleines Baby. So hab ich ihn später nie wieder erlebt. Da war dann immer zu viel Hirn mit im Spiel. Der Paul konnte nicht wirklich loslassen, der hat sich selbst zugesehen und drüber Gedanken gemacht, wie sich das Spiel, das gerade lief, am besten vermarkten läßt. Er war wie eine weiche Maschine. Und Kokain ist der ideale Sprit für Leute wie ihn. Er hat gearbeitet wie ein Berserker, hat das Geld ausgegeben wie ein Besessener, und gegen die Depressionen, die dich bald einmal einholen, gab‘s immer zwei, drei junge Tussis, die nur sein Geld im Kopf und seinen Schwanz im Mund hatten, wenn mir die Herren meine drastische Ausdrucksweise gestatten. Worauf ich hinaus will: Wer so etwas plant, quasi das perfekte Verbrechen, der braucht einen Motor, eine emotionale Kraft, die ihn antreibt, was Elementares wie Liebe, Haß, Eifersucht. Aber so was kennt der Paul Körner nicht.«
»Hast du eine Ahnung!« meldet sich Gerda. »Ich war mit ihm da im Büro, wie du ihm am Telefon voll begeistert erzählt hast, daß der Trainer für uns arbeiten wird. Na, das Gesicht vom Paul hättest du sehen sollen! Er hat mich tagelang gelöchert, wer aus deiner bewegten Vergangenheit da plötzlich ein Comeback feiert. Ich hab gesagt, ich weiß es nicht. Was ja auch gestimmt hat. Das hat er mir natürlich nicht geglaubt, der sture Hund, bis er endlich von dir erfahren hat, daß dieser mysteriöse Herr Trainer nicht hier im Büro für uns arbeiten wird, sondern ganz weit weg auf Teneriffa. Da hat er sich dann beruhigt. Weißt, was ich glaub, Nora: Der Paul hat dir nur nie gezeigt, wie sehr er auf dich steht. Kein Wunder. Du hast es ihm, ganz ehrlich gsagt, auch nicht grad leicht gemacht.«
»Weil ich es ihm nicht leicht machen wollte, Gerda«, sagt Nora schroff, und damit ist das Thema für sie beendet. Und auch der kulinarische Teil des Abends. Denn jetzt will sie die Bilder sehen, die der Trainer und ich mitgebracht haben, und nachdem sie einen kurzen Blick drauf geworfen hat, will sie uns was zeigen.
Die Videokameras, die in sämtlichen Spielzimmern und Naßräumen des Hauses installiert sind und dokumentieren, was bei Noroticom grad so gespielt wird. Eine Installation von Paul Körner, der auch das Videoarchiv verwaltet hat. Bei den Prominentenfotos handelt es sich um Screenshots von Sessions, die hier vor einem Jahr oder noch früher stattgefunden haben. Nora erinnert sich zwar an so manches pikante Detail, aber nicht an das genaue Datum der Veranstaltung. Jedenfalls sind sie längst Geschichte. Nora hat den Kundenstock gesundgeschrumpft auf ein Dutzend langjähriger Spielgefährten, und die vier Promis zählen da nicht dazu. Das Trainerbild, erinnert sie sich ganz genau, entstand kurz nach dem Arbeitsurlaub auf Teneriffa, als ihr der Trainer bei der Reparatur der Seilwinde geholfen hat. Sie hat den Screenshot selbst angefertigt, in stundenlanger Kleinarbeit. Das gehörte früher zu Pauls Job, wie überhaupt die ganze Computerarbeit, aber seit seinem Abgang müssen sie und Gerda seine Aufgaben, so gut es geht, mit übernehmen, um den Betrieb der Netzseite halbwegs am Laufen zu halten.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwierig es ist, für ein solches Unternehmen geeignete Mitarbeiter zu finden«, klagt Nora. »Du gerätst entweder an Dilettanten oder Verrückte.«
»Was wäre denn gefragt?«
»Ein leicht perverses Genie«, sagt Nora. »Damit könnte ich leben.«
»Ich kann mich ja einmal umhören, im Bekanntenkreis«, verspreche ich. »Apropos: Ich nehm an, solche Screenshots ohne Maske, aber in Kostüm gibt’s auch von Paul?«
»Jede Menge«, sagt Nora. »Das war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen: sich selbst zu archivieren.«
»Ah ja. Dann such uns doch, bitte, ein paar Konterfeis heraus, mit denen er deiner Meinung nach viel Freude hat.«
Nora streicht sich die Emma-Peel-Welle aus dem Gesicht und zieht fragend die rechte Augenbraue hoch.
»Der Trainer und ich verfassen
Weitere Kostenlose Bücher