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Kurt Ostbahn - Schneeblind

Kurt Ostbahn - Schneeblind

Titel: Kurt Ostbahn - Schneeblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenter Broedl
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einstweilen ein kurzes Schreiben. Und dann würden wir gern das Noroticom-E-Mail benutzen.«
    »Aber gern«, schmunzelt die Dame des Hauses. »Fühlen Sie sich ganz wie daheim, meine Herren. Kann ich sonst noch was für Sie tun? Musik vielleicht? Oder einen Videofilm? Kaffee? Cognac? Schnapserl?«
    »Oh ja«, sagt der Trainer. »Wann frühstückt denn der Paul Körner so im Schnitt?«

29
    ERMITTLER, SCHLAFLOS.
    Drei Uhr etliches.
    Die Noroticom-Computer unterhalten sich leise. Sie sprechen in einem summenden, manchmal auch fiepsigen Tonfall miteinander, lachen hin und wieder tuckernd, hört sich durchaus sympathisch an, aber wenn man es nicht gewohnt ist, so wie ich, dann läßt einen ihre Plauderei nicht und nicht einschlafen. Man glaubt, einen Gesprächsfetzen aufgeschnappt zu haben, und macht sich Gedanken, was er wohl bedeuten mag. Also ich tu das zumindest so, seit knapp einer Stunde, auf der Gästecouch des Wohnbüros.
    Ansonsten ist alles ruhig im Haus. Endlich. Gerda schläft in dem hofseitigen Kabinett, das als Gefängniszelle möbliert ist, auf der Pritsche, von Nora gut zugedeckt mit einer warmen Daunendecke. Der Trainer schiebt oben Wache und leistet Nora Gesellschaft, die ohnehin nicht schlafen kann.
    Sie braucht keinen Schlaf, hat sie uns erzählt, zumindest nicht so viel Schlaf wie du und ich. Das war immer schon so. Seit sie denken kann. Ihr reichen vier Stunden, aufgeteilt in kleine Portionen von zehn, fünfzehn Minuten, und danach fühlt sie sich wieder frisch und ausgeruht. Was den immensen Vorteil hat, daß man in den 24 Stunden eines Kalendertages einigermaßen was unterbringen kann an Arbeit, Sport und Spiel. Ihren Ex-Mann, den Rechberger Andi, ist das mit der Zeit so sehr auf den Geist gegangen, daß seine Frau keine ganze Nacht bei ihm im Bett verbracht hat, daß er sie zur Therapie geschickt hat. Ohne Erfolg. Denn die greift bekanntlich nur, wenn auch der Wille da ist, sich therapieren zu lassen. Und Nora hatte keine Lust. Sie ist froh über ihren 20-Stunden-Tag. Ihre Schlaflosigkeit ist keine Krankheit, sagt sie, denn eine Krankheit ist was, das weh tut und geheilt werden will. Sie aber leidet ja nicht unter ihrer Schlaflosigkeit. Sie leidet unter was ganz anderem, aber dagegen konnte ihr die Therapie, die sie nach der Scheidung vom Rechberger gemacht hat, auch nicht helfen. Obwohl sie da den dringenden Wunsch gehabt hat, sich helfen zu lassen.
    »Egal. Man kann nicht alles haben«, lachte sie und strich sich die Emma-Peel-Welle zurück. »Dafür hab ich keine Krampfadern und noch kein graues Haar, zumindest hab ich noch keins entdeckt. Nicht schlecht für eine Frau mittleren Alters, die sich noch nie den Luxus eines Schönheitsschlafs geleistet hat.«
    Das war so eines der Themen, über das im Wohnbüro bei einer Flasche Rioja geplaudert wurde, nachdem der Trainer und ich mit der Arbeit fertig waren: der Elektropost an Paul Körner, an seine vielen Adressen im Internet. Namentlich an seine Adresse bei der Firma ConsulData, für die er seit vier Wochen tätig ist und auf dem ganz großen Karrieresprung im Non-Sex-Distrikt der Branche; an die Adresse in seinem Single-Heim am Alsergrund, gleich hinter der Volksoper; an die Adresse, die er seinen Eltern in ihrem Haus in Breitenfurt eingerichtet hat, wo er sich hin und wieder übers Wochenende aufhält; und an die Adresse einer Yolanda, einem singenden Model und Filmsternchen, in deren Begleitung er in angesagten Clubs der Wiener City gesichtet wurde (und einen ca. 3-Sekunden-Auftritt als Salsatänzer in den »Seitenblicken« hatte).
    Wenn Plan A weiterhin nach Plan läuft, würden der Trainer und ich in knapp fünf Stunden mit ihm frühstücken.
    Und deshalb sollte ich jetzt endlich schlafen. Um frisch und ausgeruht wie Nora zu sein. Aber dieses Haus der 1000 Spiele läßt mich nicht. Jetzt rennt in der Folterkammer direkt über mir wieder der Schmäh. Der Trainer lacht. Nora lacht. Dann rasseln die Ketten. Oder der Trainer hustet, weil er sich vor Lachen am Rauch seiner zirka hundertsten Smart Export verschluckt hat. Ganz ehrlich: Ich würde jetzt lieber das gespenstische Ächzen und Stöhnen, die Lust- und Schmerzensschreie hören, die dieses Gemäuer erlebt hat, seit es Noroticom-Hauptquartier ist, als den sanften Smalltalk der Computer und die beiden kudernden Nachtwächter im ersten Stock. Aber so simpel und einfach spielt das Leben nicht. Bei anderen vielleicht schon. Aber nicht bei mir. Da muß immer alles mindestens einen Haken haben,

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