Kurt Ostbahn - Schneeblind

so.
    »Gerda, bitte«, sagt er jedenfalls.
    Und Gerda widmet sich schmollend wieder dem Dekorieren des Jausentisches. Heute nimmt sie grüne Papierservietten und hat für die Mehlspeis ein Strohkörbchen, wie es gern der Osterhase bringt.
    »Vorschlag«, sagt Nora, als wir alle beim Kaffee sitzen. »Arbeitsteilung. Gerda und der Trainer halten hier die Stellung, und ich fahr mit dem Kurt rüber in den Neunten. Vielleicht finden wir was, das uns weiterhilft. Die Gelegenheit ist günstig.«
    »Du willst in seine Wohnung einbrechen?« erkundigt sich der Trainer.
    Aber Nora zieht lächelnd einen Schlüsselbund aus ihrer Jackentasche und läßt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger pendeln.
    »Wo hast du die plötzlich her?« will Gerda wissen.
    »Nie zurückgegeben«, sagt Nora. »Und jetzt sieht man, wofür das gut war.«
    Das geheime Trainerhandy meldet sich mit dem Riff von »Sunshine of Your Love«.
    Der Doc ist dran.
    »Vorschlag«, sagt er. »Die Gelegenheit ist günstig. Warum schaut ihr nicht in der Wohnung des Entführten vorbei? Würde mich wundern, wenn es dort nichts zu entdecken gibt, das Licht in das Dunkel seines Kidnappings bringt.«
    »Du meinst, wir sollen bei ihm einbrechen?« frage ich den Doc.
    »Ich nehme stark an, unsere Madame Nora hat einen Schlüssel zu Körners Wohnung.«
    »Wie kommst du drauf, Doc?«
    »Sie ist der Typ Frau, die den Schlüssel nicht zurückgibt. Für alle Fälle. Übrigens: Kompliment an die Damen. Ich hatte letzte nacht endlich Zeit und Gelegenheit, ihre Homepage zu besuchen, und ich muß sagen, obwohl ich mich nicht unbedingt der Zielgruppe zurechnen würde: geschmackvoll, elegant, hat Witz und Esprit. Ein seltener Juwel in der pornografischen Diaspora.«

32
    SCHNEEBLIND.
    Es gibt nicht viel zu sehen in Körners Apartment, aber was man sieht, liegt in der Preisklasse seiner Lederjacke und Sonnenbrille.
    Nora kennt sich aus in den 70 Quadratmetern Luxus, schließlich war sie für die Anschaffung so manchen guten Stücks verantwortlich, weil der Paul zwar das Geld, aber nie Zeit hatte, und sie ihm daher beim Möblieren und Einrichten seiner Junggesellenbleibe behilflich war. Die Führung beginnt mit Küche und Bad. Nora präsentiert mir nicht ohne Stolz eine Brotschneidemaschine, eine Saftpresse und einen Milchaufschäumer, die aussehen wie die intergalaktischen Flugmaschinen, in denen so um 1957 die ersten grünen Männchen auf der Erde gelandet sind. Hinter den chromblitzenden UFOs in der Gewürzbar, findet sie zwischen Cayennepfeffer und Kräutern der Provence das erste von insgesamt sieben Drogendepots. Der Schnee, wie man das Koks zu meiner Zeit genannt hat, lagert in Behältnissen, die laut Etikett Backpulver, Staubzucker, weißen Pfeffer und Speisesoda enthalten.
    »Seine eiserne Ration«, weiß Nora.
    Im Badzimmer hat Körner sein Lebenselixier in einem Spiegelschrank versteckt, zwischen Dosen mit Gleitmittel und Latexpolitur, sowie einer umfangreichen Kollektion von Analstöpseln und Penisringen.
    »Ich würde sagen, das Zeug reicht aus, um ihn mindestens ein halbes Jahr rund um die Uhr wach zu halten«, sagt Nora, als wir das Ergebnis mehrerer Hamsterkäufe am Wohnzimmertisch zu einem ansehnlichen Schneeberg aufgetürmt haben.
    »Nicht jeden hat Mutter Natur mit deiner gesunden Portion Schlaflosigkeit ausgestattet«, sage ich. »Wer mit dir mithalten will, muß dann halt zu synthetischen Hilfen greifen.«
    »Ich hab niemand genötigt, mit mir mitzuhalten. Das muß jeder selbst für sich entscheiden. Wir sind schließlich alt genug, und mündige Menschen.«
    »Täusch ich mich? Oder schwingt da eine Herzlosigkeit mit, die mir persönlich nicht sehr zusagt?«
    Nora bestraft mich mit einem stummen Blick. In ihrem taubengrauen Kostüm und mit dem schwarzen Barett auf dem Kopf sieht sie aus wie die Meisterspionin aus einem kalten Land, in dessen Sprache Begriffe, wie Herz und Güte keinen Platz haben. Vielleicht ist unsere Begehung von Körners verschneitem Apartement so eine Art Probe für ihren großen Auftritt in den Cliffhangern des Trainers. Dann kann man ihm gratulieren: Nora ist eine Traumbesetzung.
    Im Arbeitszimmer, dem größten Raum der Wohnung, finden wir — neben chefarztpflichtigen Schlaftabletten und Muntermachern — geschichtet, geordnet und wie für unsere Einsichtnahme vorbereitet alles, was wir brauchen. Paul Körner hat in aller Herrgottsfrüh, vor unserem Frühstück im Rallye, ein nächstes Kreuzschinder-Fax verschickt. Diesmal wieder an den