Kurt Ostbahn - Schneeblind
Trainer. Der wird es in seiner Meidlinger Mansarde vorfinden, wenn er heimkommt, denn der Sendebericht sagt, daß die Datenübertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Status: OK.
Ich will Sie nicht mit dem gesamten Wortlaut der Blutoper langweilen. Nur so viel: Paul Körners Kreuzschinder schreibt, daß er das Püppchen aus der D&G-Boutique gestern dabei beobachtet hat, wie sie beim Dekorieren des Schaufensters hohe Nuttenstiefel wie Julia Roberts in »Pretty Woman« getragen hat, was ihn darin bestätigt, daß die Schlampe ganz viel bluten muß, »besser heute noch als morgen, denn das Tosen in meinem Kopf wächst minütlich, und der blutrote Himmel will endlich Taten sehen.« Bezugnehmend auf die Aktivitäten des Club Severin teilt er mit, daß sich Madame den kommenden Mittwoch abend freihalten soll, denn da werde man ihr »im Rahmen der konstituierenden Sitzung« des exklusiven Zirkels die »Neunschwänzige Katze in Gold« überreichen, welchselbe sodann im geselligen Teil des Abends zum Einsatz kommen wird. Worauf Halbschwester Michaela in gewohnt rüden Worten ankündigt, daß ihr die ehrenvolle Aufgabe übertragen wurde, die Peitsche zu fuhren und sie Madame mit 6 x 12 ausgesucht kräftigen Hieben beglücken wird. Kreuzschinder Hannes hofft abschließend, daß Madame die Runde nicht enttäuschen und ihrem Ruf gerecht werden wird, ebenso hart im Nehmen wie im Geben zu sein.
In einer Klarsichthülle auf dem Schreibtisch finden wir Körners gesamte Kreuzschinder-Korrespondenz der letzten Tage, in einem roten Ordner eine Auswahl des Originalbriefverkehrs zwischen Kohout und Nora, der von Paul sorgfältig mit Markierstift durchgearbeitet wurde.
»Reizend«, sagt Nora, »damit verbringt das geistig nicht ausgelastete Genie also tatsächlich seine einsamen Nächte. Als Ghostwriter eines Geisteskranken.«
Sie wirft den Computer an, weil wir wissen wollen, was ihrem Ex sonst noch so durchs kluge Köpfchen gegangen ist. Der PC wünscht einen guten Tag und hätte gern das Codewort gewußt, ohne das er uns leider den Zugang zu den Geheimkammern von Körners Zweithirn verwehren muß. Nora überlegt kurz und tippt dann einen Namen ein: Severin.
Der PC sagt Dank und bittet uns herein.
»Erstaunlich«, sage ich.
»Ich sag‘s ja: Paul ist nicht ganz so schlau, wie er denkt. Das Codewort hab ich ihm vor einem Jahr gesagt. Ich an seiner Stelle hätte es längst geändert. Aber das sind so die kleinen Unterlassungsfehler, die sich einschleichen, wenn man ständig die Nase voll hat und sich unverwundbar und über den Rest der Welt erhaben fühlt.«
»Und warum ausgerechnet Severin? Ist das sein zweiter Vorname?« frage ich.
»Ganz genau«, sagt Nora und lacht.
»Ich hätte mehr in Richtung >Sunny< getippt.«
»Weil du die falschen Bücher liest«, meint sie und klärt mich alsdann darüber auf, daß Severin der Name des wohl berühmtesten Masochisten der Weltliteratur sei, der seine unterwürfige Verehrung für die schöne Wanda von Dunajew in einem lebenslangen Sklavenvertrag niedergelegt hat. »Venus im Pelz. Nie davon gehört?«
»Leopold Sacher-Masoch«, überrasche ich mich und Nora mit fundiertem Basiswissen. »Erfinder des Masochismus und Spielgefährte des Marquis de Sade, dem wir den Sadismus verdanken. Die beiden waren, würde man heute sagen, ein erotisches Dream-Team.«
Jetzt ist es an Nora, »Erstaunlich« zu sagen.
Dann erstaunt uns Severin mit einem völlig maroden Bankkonto: Seiner privaten Buchführung ist zu entnehmen, daß er seit Weihnachten eine Viertelmillion Schulden angehäuft hat, wo kurz vor Weihnachten noch ein stattliches Plus zu Buche stand. Was mit seiner großkalibrigen Lebensführung in Zusammenhang steht, dem verschwenderischen Gebrauch diverser goldener Kreditkarten und dem Umstand, daß der Geldregen aus dem Hause Noroticom seit Jahrewechsel ausgeblieben ist.
Ein paar Dateien später erstaunt uns Severin mit einem Finanz- und Sanierungsplan nach Milchmädchenart: Da hat er doch tatsächlich die vier prominenten Exkunden aus Noras Sklavenparadies auf der Habenseite verbucht, mit monatlichen Zuwendungen in der Höhe von jeweils öS 10.000,- auf ein anonymes Spendenkonto. Laufzeit: unbegrenzt. Den Computerbüchern ist zu entnehmen, daß drei der vier Herren Wert auf Diskretion legen und daher pünktlich in den Paul-Körner-Solidaritätsfond einzahlen. Der vierte Spender beließ es bei nur einer Überweisung, vielleicht weil er — wie neulich in der Zeitung zu lesen war — seine
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