Kurt Ostbahn - Schneeblind
sperrt er die Eingangstür auf. Und pünktlich fünfzehn Minuten später betritt Paul Körner das Rallye. Er trägt seine teure Lederjacke und hat eine Sonnenbrille im Gesicht, die im Fachhandel mindestens so viel kostet, wie der Trainer an einer ganzen Staffel »Donna in Distress«-Cliffhangern verdienen wird.
Körner schaut sich um im Rallye, nickt dem Herrn
Josef zu, marschiert auf genagelten Sohlen an den Trainertisch und damit aus meinem Blickfeld.
»Hab ich mir gleich gedacht. Der gefürchtete Trainer«, höre ich ihn in Mono in meinem Kopfhörer. Er klingt ziemlich verschnupft. »Wo haben Sie denn Ihren Herrn und Meister gelassen, den Sherlock von der Ostbahn?«
»Morgen, Herr Körner«, sagt der Trainer. Cool. Entspannt. Herr der Lage. »Frühstück?«
»Sicher nicht hier«, sagt Körner. Und laut durchs Lokal. »Eine Hag-Melange. Mit viel Schaum.«
Ich sehe den Herrn Josef zirka zwei Meter von mir entfernt. Er macht eine hilflose Geste, leider in meine Richtung. Ich zeige dorthin, wo ich Paul Körner vermute.
»Koffeinfrei ist leider aus«, sagt der Herr Josef in die richtige Richtung. »Der wird bei mir so selten verlangt ...«
»Dann bringen‘s mir ein stilles Wasser«, sagt Körner.
»Von der Pippen?« will der Herr Josef wissen. Nicht von seinem anspruchsvollen Gast, sondern von mir. Ich nicke.
Neben der Jukebox geht Körner offenbar gleich in medias res, wie er das bei Nora gelernt hat, indem er unser E-Mail auf den Tisch knallt: »Was soll der Scheiß? Bestellen Sie Nora einen schönen Gruß und richten Sie ihr aus, daß ich dagegen Schritte unternehmen werde. Diese Aufnahmen sind privat und vertraulich, über ihre Verwendung gibt es eine klare Vereinbarung. Wieso finden sie sich in der Mail meiner Eltern und bei ConsulData?«
»Um Sie ein bißl zu kompromittieren, schätz ich. Und es gibt noch mehr davon, wie Sie wissen. An die siebenhundert. Ich hab mir — als Noroticom-Autor — erlaubt, im Archiv zu blättern und da ist mir eine kleine Geschichte dazu eingefallen ...«
Der Trainer packt die Fleißaufgabe aus, über die er und Nora letzte Nacht so viel gelacht haben. Ein Fotoroman, komplett mit launigen Sprechblasen, der Paul Körner zum Helden hat, zumeist in schwarzer Latexhaut wie Batman, nur ohne Fledermausmaske, aber dafür ganz fürchterlich in Bedrängnis. »Körner In Distress«, könnte man sagen. Als Arbeitstitel.
Der Held des Abenteuers schweigt jetzt, was dem Trainer die Gelegenheit gibt, ein bißchen auszuholen: »Wenn man davon ausgeht, Herr Körner, daß Sie derzeit versuchen, aus Ihrem reichhaltigen Noroticom-Wissen Kapital zu schlagen, dann werden wir das auch tun. So ein Fotoband macht vielen Leuten viel Freude, glauben sie nicht? Das Material ist vorhanden, ich könnte aus dem Vollen schöpfen. Die Qualität ist hervorragend, dank Ihrer Ausarbeitung. Wir brauchen eigentlich nur noch Ihre Einwilligung, daß Sie mit der weltweiten Veröffentlichung einverstanden sind. Und die Honorarfrage wäre noch zu klären. Aber dafür bin ich nicht zuständig. Das müßten Sie mit der Nora besprechen. Sie hat da, soviel ich weiß, bereits konkrete Vorstellungen ...«
»Einen Scheißdreck werd ich tun!« wird Paul Körner unnötigerweise ziemlich laut. »Geben Sie das her!« Dann ist das Rascheln von Papier zu hören, offenbar zerren Trainer und Sklave an der pikanten Bildgeschichte, und der Herr Josef macht ein beschwichtigendes »Ho,ho,ho, meine Herren!«, als er mit einem Glas Leitungswasser an den Stammtisch kommt.
»Is nur eine Kopie. Die können Sie ruhig behalten«, höre ich den Trainer sagen.
Meiner Meinung nach hätte er länger und mit etwas mehr Nachdruck um das Schriftstück ringen sollen. Andererseits redet es sich natürlich leicht, in meiner Position. Ich steh ja nicht im Ring oder Centercourt. Hier bin ich nur der Trainer, der leider nicht einmal Ezes geben darf. Mein Auftritt ist in Plan A ebenso wenig vorgesehen wie Körners Wunsch nach einer Hag-Melange. Vorgesehen ist vielmehr, daß der Trainer den Körner mit unserem detaillierten Wissen über Kreuzschinder-Kohout überrascht, den angehenden Copy-Killer damit sozusagen aufblattelt, damit ganz gewaltig punktet, und Körner zu der bitteren Einsicht gelangt, daß sein ganzer, auf sehr vielen Straßen ausgehirnter Plan wertlos und zum Schmeißen ist, weil seine falsche Fährte von uns und seinem Opfer Nora längst durchschaut wurde. Diese Erkenntnis und die drohende VÖ von »Körner In Distress« würden ihn
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