Kurz bevor dem Morgen graut
gabelt.“
Sie folgten ihm, langsam wieder besserer Stimmung. Bis Tanja etwas sagte.
„Ich hab schon wieder etwas gehört“, meinte sie. „Es kam vom Wasser.“
„Eine Ente vermutlich“, grummelte Sven, der versuchte, die Ängstlichkeit seiner Freundin zu ignorieren. „Oder ein Fisch.“
Sie gingen schweigend weiter, bis sie alle ein Geräusch links von sich vernahmen.
„Da ist etwas“, sagte Bernd, nunmehr auch ängstlich klingend. „Und diesmal ist es keine Maus. Es muss etwas Größeres sein.“
Im nächsten Moment schrie er auf, als etwas Schweres ihn an der Schulter traf. Er brüllte wie am Spieß.
„Was ist das?“, kreischte er. „Was ist das?“
Nach dem ersten Schrecken musste nun auch Tanja lachen, Sven stimmte in ihr Gelächter mit ein. Ein großes rotbraunes Eichhörnchen war auf Bernds Schulter gelandet. Mit einem Satz sprang es herunter und auf einen großen Ast an der Uferböschung.
„Der ist ja süß“, schwärmte Tanja.
„Aber auch nicht ganz unbeschlagen“, bemerkte Sven. „Schaut mal, dem Tierchen fehlt fast sein rechtes Ohr.“
„Könnte sich mal jemand um mich kümmern?“, fragte Bernd, immer noch völlig aufgelöst.
„Armer Schwager“, spottete Sven. „Hat es dich gebissen?“
„Nein, aber mir die Schulter zerkratzt!“
„Du wirst es überleben. Kommt, weiter.“
Als sie sich umdrehten, was das Eichhörnchen verschwunden. Es musste wieder in den Wald gehopst sein.
Nach fünf Minuten Marsch die Isar entlang kamen sie zu der Uferbank.
„Schön hier“, musste Bernd zugeben.
Zur Rechten sah man die Isar fließen. Die Uferbank war eine Art Kiesstrand, der leicht abschüssig zum Fluss hinunter führte.
„Sind das aber schöne Bäume“, meinte Tanja.
Die Bäume hier waren anders, sahen frischer aus und hatten fast eukalyptusfarbene Blätter.
„Lass mich raten“, meinte Bernd. „Du weißt wieder nicht, was das für Bäume sind, stimmt’s, Sven?“
„Keine Ahnung. Die ziehen sich hier noch lange am Ufer entlang, bis zu den Vogelschutzgebieten.“
Er blickte sich um und erstarrte. Normalerweise hätte gegenüber der Uferbank ein breiter Pfad sein sollen. Der Pfad, der zum Wolfratshauser Stadtteil Nantwein führte, wo seine Eltern wohnten. Der Pfad war nicht da. Er musste zugewuchert sein, seit Sven das letzte Mal vor zehn Jahren hier war. Er sah nur Bäume, dicht an dicht. Rechts von der Stelle, wo er den Pfad vermutet hatte, sah er einen kleineren Weg, der ziemlich zugewachsen aussah. An diesen konnte er sich überhaupt nicht erinnern. Rechts davon, am Ufer entlang, war ein Trampelpfad, den Sven kannte. Er führte zum Vogelschutzgebiet am Isarspitz, danach zum Wolfratshauser Stadtteil Weidach und nach Icking. Würde man ihn ewig weiter laufen, käme man irgendwann nach München.
„Alles in Ordnung, Sven?“, fragte Bernd.
„Ja, alles gut“, sagte Sven hastig. Ein wenig zu hastig.
„Du weißt , wo wir sind, Sven, oder?“, wollte Tanja wissen. Ihr Blick hatte sich sorgenvoll verfinstert.
„Aber natürlich“, meinte Sven. „Wir sind bald da.“
Er richtete den Blick wieder auf die beiden Pfade. Der rechte, ihm bekannte, machte keinen Sinn. Er musste den unbekannten Weg nehmen. Irgendwann würde er eben nach links abzweigen, um wieder auf den breiten Pfad zu seinen Eltern zu kommen.
Beherzt schritt er voran, die anderen beiden folgten ihm.
Er hatte gehofft, bald eine Abzweigung nach links zu finden. Schließlich konnte der Pfad zur Nantweiner Jordanstraße, wo seine Eltern wohnten, nicht völlig zugewuchert sein. Es war vermutlich nur die eine Stelle bei der Uferbank und nach einer Weile würde der Pfad wieder beginnen. Es durfte nur eine Frage der Zeit sein, bis es irgendwo eine Möglichkeit gab, nach links auf eben jenen Weg abzubiegen.
Je länger sie den Pfad entlang wanderten, desto mutloser wurde Sven. Es kam weder links noch rechts eine Möglichkeit zur Abzweigung. Vielmehr wurde der Pfad immer enger und buschiger. Eine halbe Stunde lang, wagte niemand etwas zu sagen. Sven, weil er sich vor den Reaktionen seiner Begleiter fürchtete. Tanja und Bernd, weil sie sich vor Svens Antwort fürchteten. Es war eine Sache, zu vermuten, dass ihr Führer sich verlaufen hatte. Eine andere, es mit Sicherheit zu wissen.
Plötzlich blieb Sven entmutigt stehen.
„Was ist los?“, fragte Tanja, dann sah sie es.
Vor ihnen baute sich eine Wand aus Bäumen und Dickicht auf. Sie waren in einer Sackgasse.
„Sven, wo sind wir?“, fragte Bernd
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