Kurz bevor dem Morgen graut
ein Auto? Er wollte rufen, aber Stimme und Lunge versagten ihm den Dienst. Er rannte weiter, das restliche Stück Weg.
Am Ende des Pfades war eine schmiedeeiserne Schranke, wohl für die Forstfahrzeuge. Er rannte so unkontrolliert und ohne Kraft in seinen Beinen, dass er bäuchlings dagegen prallte. Mit letzter Anstrengung hielt er sich an der Schranke fest und keuchte. Ob er wieder normal atmen konnte? Bekam er einen Herzinfarkt? Sein Herz schlug so schnell, dass er sich einbildete, er könne es so laut wie eine Trommel hören.
Dann erstarrte er. Er hörte ein Herz, das so laut wie eine Trommel schlug. Aber es war nicht sein eigenes Herz. Es war hinter ihm.
Sven fuhr mit einer Geschwindigkeit herum, zu der er körperlich eigentlich gar nicht mehr in der Lage war. Seine Augen weiteten sich abermals vor Entsetzen, diesmal so weit, dass sie ihm aus dem Kopf zu springen drohten.
Keine Fahrradreflektoren. Definitiv keine Fahrradreflektoren.
Der Wald an der Bundesstraße 11 lag ruhig und friedlich in der Dunkelheit. Nur ein aufmerksamer Zuhörer, der sich zu dieser Zeit auf dem Parkplatz vor dem alten Forstweg befunden hätte, hätte ein leises Schmatzen hören können, das der Wind sanft durch die Bäume trug.
MALKOWSKIS RÜCKKEHR
Walter Malkowski war Anwalt gewesen. Den meisten Menschen würde diese Information schon als Beleg für seinen schlechten Charakter genügen. Doch Walter Malkowski hatte nichts unversucht gelassen, auch den Rest der Menschheit davon zu überzeugen. Es wunderte mich insofern nicht im Geringsten, sein Wohnzimmer nun als Tatort zu betreten. Als ich ihn dort rücklings auf seinem geschmacklosen Orientteppich liegen sah, das Steakmesser noch in der Brust steckend, war ich einen Moment lang versucht, es aus ihm herauszuziehen und ihm in den Hals zu rammen. Nur um sicher zu gehen, dass der alte Bastard auch wirklich tot war.
„Da sind Sie ja endlich“, sagte Inga, als sie mich eintreten sah. Sie klang genauso schnippisch wie immer und war völlig aufgelöst.
Ich nahm ihr nicht übel, dass sie gereizt war. Der eigene Vater wird schließlich nicht jeden Tag ermordet. Wenn man dann auch noch die Hauptverdächtige war und in Handschellen im eigenen Wohnzimmer stand, konnte man schon einmal schlechte Laune bekommen.
„Sie hätten besser einen Anwalt rufen sollen“, meinte ich trocken.
„Nein danke“, schnauzte sie zurück. „Das reicht mir von meinem Vater. Ich hasse Anwälte.“
„Sie werden trotzdem nicht darum herumkommen, einen zu konsultieren“, meinte ich. „Kommissar Steinke sieht das sicher genauso wie ich.“ Ich blickte zu dem älteren Kriminalbeamten, der neben Inga stand. Der nickte nur zustimmend.
„Von mir aus, besorgen Sie mir einen“, sagte Inga ungehalten. „Aber in erster Linie brauche ich Sie. Sie sind der Einzige, der mir helfen kann.“
„Ich? Warum?“
Ich stellte mich absichtlich dumm. Sie hatte es verdient. Ich hatte jahrelang mit ihrem Vater zusammengearbeitet. Als ihm meine Honorare zu teuer wurden, hatte er behauptet, ich würde nichts taugen und mich theatralisch aus seinem Haus geworfen. Beim Rausgehen hatte Inga mich noch zynisch angelächelt und gemeint, sie hätte mich ohnehin nie leiden können. Zwei Monate war das erst her. Und jetzt war der Alte tot.
„Weil Sie der beste Privatdetektiv der Welt sind“, stöhnte Inga leise in ihre mit Handschellen gefesselten Hände.
„Ihr Vater war da anderer Ansicht“, brummte ich.
„Mein Vater war ein geiziger alter Sack!“, brüllte sie mich an. „Aber umgebracht habe ich ihn trotzdem nicht!“
„Wie ist die Sachlage?“, fragte ich den Kommissar.
Steinke kannte mich schon lange, bei mir war er kulant.
„Sie war die Einzige im Haus, außer dem Toten selbst“, berichtete er. „Das Personal hatte frei. Sie hatte ihnen frei gegeben. Auf dem Messer sind nur ihre Fingerabdrücke.“
„Es ist ein Steakmesser!“, echauffierte sich Inga. „Natürlich sind da meine Fingerabdrücke drauf!“
„Der Koch sagt, sie habe nie irgendwelche Küchendienste verrichtet“, fuhr Steinke fort. „Er könne sich nicht vorstellen, dass sie jemals eines der Steakmesser in der Hand gehabt habe.“
„Dieser ...“ Ingas Augen glühten vor Zorn.
„Aber es wäre doch nicht das erste Mal, dass hier jemand mit einem Steakmesser ermordet wird“, meinte ich. „Beim letzten Mal war es einer vom Personal.“
Natürlich wusste jeder, wovon ich sprach. Malkowskis Frau und Ingas Mutter Elisabeth war vor zehn
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