Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Nevile.»
    Thomas sah die Röte in Neviles Nacken steigen. Nevile machte drei schnelle Schritte vorwärts und hielt Audrey die Zeitschrift hin.
    Zögernd, mit wachsender Verwirrung stammelte sie: «Oh, aber…»
    Mit jäher Bewegung stieß Kay ihren Stuhl zurück. Sie erhob sich, drehte sich um und eilte zur Fenstertür des Wohnzimmers. Thomas fand gerade noch Zeit, zurückzuweichen, sonst wäre sie voll mit ihm zusammengeprallt.
    Der Schreck gab ihr ihre Fassung zurück; sie blickte auf, als er sich entschuldigte. Er erkannte jetzt, warum sie ihn nicht wahrgenommen hatte: Ihre Augen schwammen in Tränen – Tränen des Zorns, vermutete er.
    «Oh», sagte sie. «Wer sind Sie? Ah, natürlich, Sie sind der Mann aus Indonesien!»
    «Ja», bestätigte er, «ich bin der Mann aus Indonesien.»
    «Ich wünschte zu Gott, ich wäre in Indonesien», sagte Kay. «Irgendwo, nur nicht hier! Ich hasse dieses grässliche Haus! Ich hasse alle hier!»
    Gefühlsausbrüche regten Thomas immer auf. Er betrachtete Kay und murmelte beunruhigt. «Äh… hm…»
    «Wenn sie sich nicht in Acht nehmen, werde ich noch jemanden umbringen! Entweder Nevile oder die blasse Katze da draußen!»
    Sie eilte an ihm vorbei, stürmte zum Zimmer hinaus und schmetterte die Tür zu.
    Thomas stand stocksteif da. Er war sich nicht ganz sicher, was er nun tun sollte; immerhin fühlte er sich erleichtert, dass die junge Mrs Strange fort war. Sie hatte etwas von einer Tigerin, die zweite Mrs Strange.
    Nevile begrüßte Thomas geistesabwesend. Er atmete heftig.
    «Oh, wie geht’s, Royde? Wusste gar nicht, dass Sie schon da sind. Sie, haben Sie meine Frau gesehen?»
    «Sie ist vor einer Minute hinausgegangen.»
    Mit ärgerlicher Miene verließ Nevile den Raum.
    Thomas trat langsam auf die Terrasse hinaus. Er hatte keinen schweren Schritt. Erst als er zwei Meter entfernt war, wandte Audrey den Kopf.
    Dann sah er, wie ihre großen Augen noch größer wurden und ihre Lippen sich öffneten. Sie glitt von der Balustrade hinunter und eilte ihm mit ausgestreckten Händen entgegen.
    «Oh, Thomas! Lieber Thomas! Wie froh bin ich, dass du gekommen bist!»
    Als er die beiden kleinen weißen Hände ergriff und sich zu ihr niederbeugte, erschien Mary Aldin an der Fenstertür. Beim Anblick der beiden Gestalten verharrte sie jählings; eine kleine Weile beobachtete sie sie, dann drehte sie sich langsam um.
    Nevile fand Kay oben in ihrem Schlafzimmer. Das einzige Doppelzimmer im Haus bewohnte Lady Tressilian. Ehepaaren wurden stets die beiden nebeneinanderliegenden Räume angewiesen, die durch eine Tür miteinander verbunden waren und zu denen ein Badezimmer auf der Westseite des Hauses gehörte. Es war eine kleine Wohnung für sich.

14
    Als Nevile durch die Verbindungstür eintrat, sah er Kay auf dem Bett liegen. Sie hob ihr tränenüberströmtes Gesicht und rief:
    «Du bist also gekommen? Das wurde aber auch Zeit!»
    «Was soll denn das alles? Bist du nicht bei Trost, Kay?»
    Nevile sprach ruhig, aber ein Zug um seine Nasenflügel verriet unterdrückten Ärger.
    «Warum hast du die Illustrierte Woche ihr und nicht mir gegeben?»
    «Wirklich, Kay, du bist ein Kindskopf! So viel Aufhebens wegen der dummen Zeitschrift.»
    «Du hast sie ihr und nicht mir gegeben», wiederholte Kay eigensinnig.
    «Aber warum auch nicht? Was spielt denn das für eine Rolle?»
    «In meinen Augen eine große.»
    «Ich weiß wirklich nicht, was in dich gefahren ist. Du kannst dich in einem fremden Haus nicht so benehmen. Hast du denn gar keine Kinderstube?»
    «Warum hast du sie Audrey gegeben?»
    «Weil sie sie haben wollte.»
    «Ich wollte die Zeitschrift ebenfalls haben, und ich bin deine Frau.»
    «Um so mehr Grund, sie der Älteren zu geben, die noch dazu, genau genommen, keine Verwandte ist.»
    «Sie hat das absichtlich gemacht! Und du warst auf ihrer Seite.»
    «Du benimmst dich wie ein dummes, neidisches Kind. Beherrsch dich doch um Gottes willen und führ dich in der Öffentlichkeit anständig auf!»
    «Wie Audrey, meinst du wohl?»
    Nevile entgegnete kalt:
    «Jedenfalls weiß sie sich wie eine Dame zu benehmen. Sie lässt sich nicht gehen.»
    «Sie stachelt dich gegen mich auf! Sie hasst mich und rächt sich.»
    «Kay, willst du nicht endlich aufhören, Szenen heraufzubeschwören? Ich habe genug davon.»
    «Dann lass uns fortgehen! Lass uns morgen abreisen. Ich hasse dieses Haus!»
    «Wir sind erst vier Tage hier.»
    «Das ist gerade genug! Lass uns doch gehen, Nevile.»
    «Hör mich an,

Weitere Kostenlose Bücher