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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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darum?»
    «Ich mag nun einmal keine Verunstaltung.»
    Er lächelte. Das passte zu Audreys Sinn für Vollkommenheit.
    Er sagte unvermittelt: «Du bist viel schöner als Kay.»
    Sie wandte rasch den Kopf.
    «O nein, Thomas, Kay ist viel, viel schöner.»
    «Nur äußerlich.»
    «Spielst du auf meine schöne Seele an?», fragte Audrey belustigt.
    Thomas klopfte seine Pfeife aus.
    «Nein, ich meine deinen Knochenbau.»
    Audrey lachte.
    Wieder schwiegen beide eine Weile. Thomas betrachtete Audrey von Zeit zu Zeit.
    Endlich fragte er ruhig: «Was ist los mit dir, Audrey?»
    «Aber was soll denn los sein mit mir? Gar nichts ist los.»
    «Doch.»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Willst du es mir nicht verraten?»
    «Es gibt gar nichts zu verraten.»
    «Ich bin ein Tollpatsch, ich weiß… aber… aber kannst du das alles nicht vergessen, Audrey? Kannst du es dir nicht aus dem Sinn schlagen?»
    Ihre kleinen Hände krampften sich um den Felsen.
    «Du verstehst das nicht… es ist ganz unmöglich für dich, es zu verstehen.»
    «Aber Audrey, das ist es ja gerade. Ich weiß Bescheid.»
    Zweifelnd blickte sie ihn an.
    «Ich weiß ganz genau, was du durchgemacht hast. Und… und was es für dich bedeutet hat.»
    Sie war jetzt sehr blass, blass bis in die Lippen.
    «Ach so», sagte sie. «Ich habe nicht geahnt, dass es jemand weiß.»
    «Ich werde auch nicht darüber reden. Ich möchte dir nur klarmachen, dass du darüber hinwegkommen musst. Es ist vorbei.»
    Sehr leise erwiderte sie: «Es gibt Dinge, die sind nie vorbei.»
    «Schau, Audrey, es hat keinen Zweck, über die Vergangenheit zu brüten. Zugegeben, du bist durch eine Hölle gegangen. Aber es ist sinnlos, das im Geiste immer wieder zu erleben. Sieh in die Zukunft – nicht zurück. Du bist jung. Du hast dein Leben noch vor dir. Denk an morgen, nicht an gestern.»
    «Und wenn ich das nicht kann?»
    «Du musst.»
    Eine Weile schwiegen sie, dann sagte er: «Ich denke oft an dich, wie du als junges Mädchen warst… bevor du Nevile heiratetest. Warum hast du ihn eigentlich geheiratet?»
    Audrey lächelte.
    «Weil ich mich in ihn verliebt habe.»
    «Ja, ja, ich weiß. Aber weshalb hast du dich in ihn verliebt? Was zog dich zu ihm?»
    Sie blinzelte durch die Wimpern, als versuchte sie, mit anderen Augen zu sehen, mit den Augen eines jungen Mädchens. «Ich glaube, weil er so ‹positiv› war. Er war so ganz das Gegenteil von mir. Ich fühlte mich immer wie ein Schatten… nicht ganz wirklich. Nevile war wirklich. So glücklich und so selbstsicher und so… alles, was ich selber nicht war.» Mit einem Lächeln fügte sie hinzu: «Und er sah so gut aus.»
    Thomas entgegnete mit Erbitterung: «Ja, der ideale Engländer – sportlich, bescheiden, blendend aussehend, immer der Überlegene, dem alles in den Schoß fällt, was er sich wünscht.»
    Audrey richtete sich auf und starrte ihn an.
    «Du hasst ihn», sagte sie. «Du hasst ihn sehr, nicht wahr?»
    Er wich ihrem Blick aus.
    «Wäre wohl nicht verwunderlich, wenn dem so wäre, was?», murmelte er undeutlich. «Er hat alles, was ich nicht habe. Er kann Sport treiben und schwimmen und tanzen und reden. Und ich bin ein zungengelähmter Einfaltspinsel mit einem verkrüppelten Arm. Er hat immer geglänzt, hat Erfolg gehabt, und ich stand stets abseits. Und er heiratete das einzige Mädchen, aus dem ich mir etwas machte.»
    Sie ließ einen leisen Ausruf hören.
    Heftig fuhr er fort: «Das hast du von jeher gewusst! Du wusstest, dass ich dich seit deinem fünfzehnten Jahr lieb hatte. Du weißt, dass ich dich noch immer…»
    Sie fiel ein: «Nein, jetzt nicht mehr.»
    «Wieso – jetzt nicht mehr?»
    Audrey stand auf.
    Mit ruhiger Stimme sagte sie: «Weil ich jetzt eine andere bin.»
    «In welcher Beziehung?»
    Auch er hatte sich erhoben und stand ihr gegenüber.
    «Wenn du es nicht weißt… ich kann es dir nicht sagen. Ich bin mir meiner selbst nicht mehr sicher. Ich weiß nur…»
    Sie brach ab, drehte sich unvermittelt um und schritt rasch davon.
    Als sie bei der Klippe um die Ecke bog, stieß sie auf Nevile, der bäuchlings dalag und in eine Felsenspalte spähte. Er blickte auf und lächelte.
    «Tag, Audrey.»
    «Tag, Nevile.»
    «Ich beobachte gerade eine Krabbe. Ein temperamentvolles Kerlchen. Ha, schau.»
    Sie kniete nieder und schaute, wohin sein Finger wies.
    «Siehst du die Krabbe?»
    «Ja.»
    «Magst du eine Zigarette?»
    Sie nahm die Zigarette, und er reichte ihr Feuer. Nach einer kleinen Pause, während der sie ihn nicht

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