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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ich hoffe von ganzem Herzen, dass Kay und Nevile immer glücklich sein werden.»
    «Das ist sehr anständig von dir, Audrey.»
    «Mit Anstand hat das nichts zu tun. Es ist ganz einfach töricht, in der Vergangenheit zu leben. Man muss sich mit der Gegenwart beschäftigen.»
    «Weißt du, ich glaube, dass Menschen wie Kay und Ted für mich etwas Aufregendes haben, weil sie so ganz anders sind als alle die Leute, die mir sonst über den Weg laufen.»
    «Möglich.»
    «Sogar du hast gelebt», fuhr Mary mit plötzlicher Bitterkeit fort, «und hast Erfahrungen gesammelt, die mir nicht beschieden sind. Ich weiß, dass du unglücklich warst, sehr unglücklich, aber ich kann mir nicht helfen… das ist immer noch besser als… gar nichts. Leere!»
    In Audreys großen Augen lag erschrockenes Staunen.
    «Ich hatte keine Ahnung, dass du so empfindest.»
    «Nein?» Mary lachte, wie um Entschuldigung bittend. «Ach, das war auch nur eine vorübergehende Anwandlung. Es ist mir nicht Ernst damit.»
    «Für dich ist das Leben ja auch wirklich nicht sehr fröhlich», meinte Audrey nachdenklich. «Immer die gleichen Alitagspflichten… niemals fortkönnen…»
    «Ich habe mein Auskommen», erklärte Mary. «Tausende von Frauen haben nicht einmal das. Und wirklich, Audrey, ich bin ganz zufrieden.»
    Einen Augenblick spielte ein Lächeln um ihre Lippen.
    «Ich habe meine privaten Zerstreuungen.»
    «Geheime Laster?»
    Audrey lächelte ebenfalls.
    «Oh, ich hege allerlei Pläne», erwiderte Mary unbestimmt, «Luftschlösser, verstehst du. Und ich liebe es, die Menschen auf die Probe zu stellen. Ich versuche, sie dahin zu bringen, auf meine Worte so zu reagieren, wie ich es wünsche.»
    «Das klingt ja geradezu gefährlich, Mary! Wie wenig kenne ich dich im Grunde!»
    «Oh, das ist alles ganz harmlos. Nur ein kindliches Vergnügen.»
    Audrey erkundigte sich neugierig: «Hast du auch mit mir schon… experimentiert?»
    «Nein. Du bist der einzige Mensch, den ich für ganz und gar unberechenbar halte. Ich weiß nie, was du eigentlich denkst.»
    «Vielleicht ist das ganz gut so», gab Audrey ernst zurück.
    Sie schauderte, und Mary rief: «Oh, du frierst!»
    «Ja. Ich werde hineingehen und mich anziehen. Schließlich haben wir wirklich schon September.»
    Mary blieb allein zurück und blickte auf das spiegelnde Wasser. Es herrschte Ebbe. Sie streckte sich auf dem Sand aus und schloss die Augen.
    Ihre Gedanken rissen jählings ab, als Ted Latimer sich unvermittelt neben ihr niederließ. Sie hatte ihn nicht kommen hören.
    «Wo ist denn Kay geblieben?», fragte Mary.
    Ted erwiderte kurz: «Ihr Herr und Gebieter hat Anspruch auf sie erhoben.»
    Etwas in seinem Ton ließ Mary sich aufrichten. Sie schaute über den Strand und sah Nevile und Kay am Ufer dahinschlendern. Dann warf sie einen raschen Blick auf den Mann neben sich.
    Sie hatte ihn für kalt und eigenartig, sogar für gefährlich gehalten. Jetzt erkannte sie zum ersten Mal, dass er jung und verletzlich war. Sie dachte: Er liebt Kay, liebt sie wirklich… und Nevile hat sie ihm weggenommen…
    Sie sagte freundlich: «Ich hoffe, dass es Ihnen hier gefällt.»
    Das waren konventionelle Worte. Mary sagte fast immer nur konventionelle Worte – das war nun mal ihre Art. Aber in ihrem Ton lag – zum ersten Mal – ein Freundschaftsangebot.
    «Es gefällt mir hier nicht schlechter und nicht besser als anderswo», versetzte er. «Im Grunde kümmert Sie das ja auch gar nicht. Ich bin ein Außenseiter, und was ein Außenseiter denkt und fühlt, das hat nicht viel zu bedeuten.»
    Sie wandte den Kopf, um den erbitterten und gut aussehenden jungen Mann zu betrachten.
    Trotzig, herausfordernd gab er ihren Blick zurück.
    Langsam, als hätte sie eine Entdeckung gemacht, sagte sie: «Ich verstehe. Sie mögen uns nicht.»
    «Haben Sie etwas anderes erwartet?»
    Sie erwiderte nachdenklich: «Nein, ich glaube, ich habe nichts anderes erwartet. Allerdings haben wir Sie freundlich aufgenommen – als Kays Freund.»
    «Ja – als Kays Freund!»
    Mary sagte mit entwaffnender Offenheit: «Ich wünschte, Sie würden mir verraten, warum Sie uns nicht mögen. Was haben wir getan? Was missfällt Ihnen an uns?»
    Ted Latimer sagte nur ein Wort: «Arroganz.»
    «Unsere Arroganz?», wiederholte Mary sachlich. «Ja», gab sie dann zu, «ich muss gestehen, dass wir arrogant wirken können.»
    «Sie sind auch so. Sie nehmen alle guten Dinge des Lebens als selbstverständlich hin – Sie alle. Sie sondern sich ab und

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