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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Tressilian», sagte Nevile, während er die beiden Herren in die Halle hinausbegleitete. «Sie wirken ungeheuer anregend auf meine Tante. Sie hat jetzt so wenig Kontakt zur Außenwelt. Sie ist wundervoll, nicht wahr?»
    «Ja, wirklich. Ein prächtiger Mensch.»
    Treves hüllte sich sorgsam in Schal und Mantel, und nachdem er sich von Nevile verabschiedet hatte, ging er mit Ted zusammen hinaus.
    Das Hotel Balmoral lag kaum mehr als hundert Meter entfernt, man brauchte nur um die nächste Ecke zu biegen. Zur Fähre, zu der Ted musste, hatte man noch weitere zwei- bis dreihundert Meter zu gehen; die Anlegestelle befand sich an der schmälsten Stelle des Flusses.
    Treves blieb vor dem Hotel stehen und streckte seine Hand aus.
    «Gute Nacht, Mr Latimer. Bleiben Sie eigentlich noch länger hier?»
    Ted lächelte, dass seine weißen Zähne blitzten.
    «Das hängt ganz davon ab, Mr Treves. Bis jetzt habe ich mich noch nicht gelangweilt.»
    Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben. Die Straße war sehr dunkel. Aus der Finsternis löste sich die Gestalt eines Mannes, der den Hang heraufkam. Es war Thomas Royde.
    «Bin gerade ein bisschen zur Fähre spaziert», murmelte er undeutlich, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. «Ist das Ihr Hotel?», fragte er Treves. «Sieht ganz so aus, als ob man Sie ausgesperrt hätte.»
    «Oh, das glaube ich nicht», entgegnete Treves.
    Er drückte auf die mächtige Metallklinke, und die Tür öffnete sich.
    «Wir bringen Sie noch hinein», sagte Thomas.
    Alle drei betraten die Halle, die nur von einer einzigen Lampe matt erhellt wurde. Niemand war zu sehen.
    Plötzlich stieß Treves einen empörten Ausruf aus.
    Am Lift hing ein Schild, auf dem stand:
    AUSSER BETRIEB
    «Meine Güte!», ärgerte sich Treves. «Wie unangenehm! Nun muss ich alle die Stufen hinaufsteigen.»
    «Zu dumm!», meinte auch Thomas. «Gibt es keinen Gepäckaufzug?»
    «Leider nicht. Dieser Lift hier dient allen Zwecken. Na, ich muss eben langsam klettern. Gute Nacht.»
    Er bewegte sich auf die breite Treppe zu.
    Thomas und Ted begaben sich auf die dunkle Straße hinaus.
    Einen Augenblick herrschte Schweigen. Schließlich sagte Thomas unvermittelt: «Also gute Nacht.»
    «Gute Nacht. Wir sehen uns ja morgen wieder.»
    Ted lief leichtfüßig zur Fähre hinunter. Thomas schritt langsam in der entgegengesetzten Richtung davon.

20
    «Ganz wie im Sommer», murmelte Mary Aldin.
    Sie saß mit Audrey am Strand, gerade unterhalb der eindrucksvollen Fassade des Hotels Easterhead. Audrey trug einen weißen Badeanzug und sah aus wie ein zierliches Elfenbeinfigürchen. Mary hatte nicht gebadet. Etwas entfernt von ihnen lag Kay bäuchlings im Sand und setzte ihre bronzefarbenen Glieder der Sonne aus; hinter ihr ruhte Ted Latimer.
    «Puh!» Kay richtete sich auf. «Das Wasser ist schrecklich kalt», bemerkte sie anklagend.
    «Nun ja, wir haben ja auch schon September», versetzte Mary.
    «In England ist es immer kalt», sagte Kay missmutig.
    «Gehen Sie überhaupt nicht ins Wasser, Mr Latimer?», fragte Mary.
    Kay lachte.
    «Ted geht nie ins Wasser. Er sonnt sich nur wie eine Eidechse.»
    Er sprang auf.
    «Komm, lass uns ein bisschen laufen, Kay. Mir ist wirklich kalt.»
    Gemeinsam gingen sie den Strand hinunter.
    «Wie eine Eidechse? Ein wenig passender Vergleich», sagte Mary, die den beiden nachblickte.
    «Findest du?», fragte Audrey.
    Mary runzelte die Brauen.
    «Eine Eidechse ist doch ein zahmes Tier. Er ist nicht zahm.»
    «Nein», erwiderte Audrey nachdenklich. «Zahm ist er wirklich nicht.»
    «Wie hübsch die beiden zusammen aussehen. Sie passen gut zueinander, nicht wahr?»
    «Ich nehm’s an.»
    «Sie haben die gleichen Interessen», fuhr Mary fort. «Sie sind immer einer Meinung und… Was für ein Jammer ist es doch…» Sie hielt inne.
    «Nun?», fiel Audrey scharf ein.
    Mary antwortete langsam: «Ich glaube, ich wollte wahrhaftig sagen, es sei schade, dass Nevile und Kay sich begegnet sind.» Audrey saß steif aufgerichtet da. Ihr Gesicht hatte etwas Starres.
    Mary sagte rasch: «Entschuldige, Audrey. Das hätte ich mir verkneifen sollen.»
    «Ich würde lieber nicht darüber reden, wenn es dir recht ist.»
    «Natürlich, natürlich. Das war sehr einfältig von mir. Ich dachte halt, du hättest es überwunden.»
    Audrey drehte langsam den Kopf herum. Mit ruhiger, ausdrucksloser Miene sagte sie:
    «Ich versichere dir, dass ich nichts zu überwinden habe. Ich… ich fühle in dieser Beziehung überhaupt nichts. Ich…

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