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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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lang saß er still auf dem Sofa. Kein einziges Mal blickte er Audrey an; er sah aus wie ein unglücklicher kleiner Junge. Gegen ihren Willen empfand Mary Mitleid mit ihm.
    «Also», sagte er schließlich und erhob sich. «Dann werde ich jetzt mal hinüberpilgern.»
    «Nimmst du deinen Wagen oder die Fähre?»
    «Die Fähre. Es hat keinen Sinn, die fünfundzwanzig Kilometer herumzufahren. Es tut mir ganz gut, ein bisschen zu laufen.»
    «Es regnet aber.»
    «Ich weiß. Mein Mantel ist wasserdicht.»
    Er ging zur Tür. «Gute Nacht.»
    In der Halle kam ihm Hurstall entgegen.
    «Würden Sie wohl so gut sein und zu Lady Tressilian hinaufgehen, Mr Strange? Sie möchte gern mit Ihnen sprechen.»
    Nevile schaute auf die Uhr. Es war schon zehn.
    Er zuckte die Schultern und ging hinauf. Während er nach dem Anklopfen auf die Aufforderung zum Eintreten wartete, hörte er die Stimmen der andern in der Halle unten. Offenbar gingen alle zeitig schlafen.
    «Herein», ertönte Lady Tressilians helle Stimme.
    Nevile trat ein und schloss die Tür hinter sich.
    Lady Tressilian hatte sich bereits für die Nachtruhe vorbereitet. Alle Lichter waren ausgeschaltet außer der Leselampe am Bett. Sie hatte gelesen, doch legte sie jetzt das Buch fort. Über den Brillenrand hinweg blickte sie Nevile an.
    «Ich möchte mit dir sprechen, Nevile», sagte sie.
    Nevile lächelte.
    «Zu Befehl, Majestät.»
    Lady Tressilian lächelte nicht.
    «Es gibt gewisse Dinge, Nevile, die ich in meinem Hause nicht dulde. Ich hege keineswegs den Wunsch, anderer Leute Gespräche mit anzuhören, aber wenn du mit deiner Frau gerade unter meinem Schlafzimmerfenster einen lauten Wortwechsel führst, so kann ich nicht umhin, euer Geschrei zu hören. Daher weiß ich, dass du dich mit der Absicht trägst, Kay zu verlassen und Audrey wieder zu heiraten. Das ist einfach unmöglich, Nevile, und ich will davon nichts wissen.»
    Nevile schien nur mit Mühe die Selbstbeherrschung zu bewahren.
    «Ich bitte um Entschuldigung wegen der Szene», sagte er kurz angebunden. «Was das Übrige betrifft, so ist es ganz entschieden meine eigene Angelegenheit.»
    «O nein. Du hast meine Gastfreundschaft benutzt, um mit Audrey zusammenzutreffen, oder aber Audrey hat sie sich zu Nutze gemacht…»
    «Sie hat nichts dergleichen getan. Sie…»
    Lady Tressilian gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen.
    «Jedenfalls kannst du das nicht tun, Nevile. Kay ist deine Frau. Sie hat bestimmte Rechte, die du ihr nicht nehmen darfst. In diesem Fall bin ich ganz auf Kays Seite. Wie du dich gebettet hast, so musst du liegen. Du hast Kay gegenüber Pflichten, und ich erkläre dir ganz offen…»
    Nevile trat einen Schritt vor. Er erhob die Stimme:
    «Das geht dich überhaupt nichts an!»
    Lady Tressilian beachtete seinen Einwurf nicht.
    «Überdies wird Audrey morgen mein Haus verlassen…»
    «Das kannst du nicht tun! Ich will es nicht!»
    «Schrei mich nicht an, Nevile!»
    «Ich sage dir, ich will es nicht!»
    Irgendwo auf dem Korridor wurde eine Tür geschlossen.

24
    Alice Bentham, das Hausmädchen, kam ziemlich aufgeregt zu Mrs Spicer, der Köchin.
    «Ach, Mrs Spicer, ich weiß nicht recht, was ich tun soll!»
    «Was ist denn los, Alice?»
    «Es ist wegen Miss Barrett. Vor einer Stunde brachte ich ihr ihren Tee. Da schlief sie fest und wachte nicht auf, aber ich wollte auch nicht allzu laut sein. Und dann ging ich vor zehn Minuten wieder zu ihr, weil sie nicht heruntergekommen war, und sie hätte doch Lady Tressilian ihren Tee bringen sollen. Deshalb ging ich also zu ihr, und sie schläft noch immer… sie lässt sich einfach nicht wecken.»
    «Haben Sie sie geschüttelt?»
    «Ja, Mrs Spicer. Ich schüttelte sie tüchtig, aber sie rührte sich nicht, und sie hat so eine sonderbare Farbe.»
    «Meine Güte, sie ist doch nicht etwa tot?»
    «O nein, man hört sie atmen, aber sie atmet so merkwürdig. Ich glaube, sie ist krank.»
    «Na, ich werde hinaufgehen und selber nachsehen. Bringen Sie Lady Tressilian den Tee. Aber machen Sie lieber frischen. Sie wird außerdem wissen wollen, was los ist.»
    Alice tat, wie ihr geheißen, während Mrs Spicer sich ins zweite Stockwerk hinaufbegab.
    Alice trug das Tablett durch den Korridor und klopfte an Lady Tressilians Tür. Nachdem sie zweimal geklopft hatte, ohne eine Antwort zu erhalten, ging sie hinein. Einen Augenblick später klirrte Porzellan, wilde Schreie ertönten, und Alice stürzte aus dem Zimmer, rannte die Treppe hinunter, geradewegs auf Hurstall

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