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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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war etwas anderes.
Wir
waren anders.« (Ja, zum Beispiel waren wir weiß, könnte ich sagen, aber ich halte den Mund.) »Wir haben hart gearbeitet, und
     wir waren bescheiden. Wir haben die Sprache gelernt und uns integriert. Wir haben nie Unterstützung in Anspruch genommen.
     Und wir haben nie das Gesetz gebrochen.«
    »Ich schon. Ich habe Hasch geraucht. Ich bin bei Greenham |268| Common festgenommen worden. Papa war so wütend, dass er nach Russland zurückfahren wollte.«
    »Genau darum geht es doch, Nadia. Du und deine linken Freunde, ihr habt nie wirklich zu schätzen gewusst, was England euch
     alles bietet – Stabilität, Ordnung, Rechtsstaatlichkeit. Wenn Leute wie du das Sagen hätten, wäre dieses Land jetzt wie Russland,
     mit Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften und Leuten, denen man die Hände abhackt.«
    »Das ist Afghanistan, Vera. Dort ist das Abhacken von Händen rechtmäßig.«
    Wir sind beide laut geworden. Gleich streiten wir wieder wie früher.
    »Wie auch immer«, sagt sie. »Du weißt, was ich meine.«
    »Was mir daran gefallen hat, in England aufzuwachsen, waren die Toleranz, die Liberalität und diese grundlegende Freundlichkeit.«
     (Auch wenn sie es nicht sehen kann, strecke ich meinen Finger in die Höhe zum Zeichen, dass dieser Punkt an mich geht.) »Die
     Art und Weise, wie die Engländer immer für Schwache oder Benachteiligte eintreten.«
    »Du verwechselst Benachteiligte mit Schnorrern, Nadia. Wir waren arm, aber Schnorrer waren wir keine. Die Engländer glauben
     an Fairness. Wie beim Cricket.« (Was weiß
sie
denn über Cricket?) »Sie spielen nach Regeln. Sie haben ein natürliches Gefühl für Ordnung und Disziplin.«
    »Nein, nein. Sie sind ziemlich anarchistisch. Sie mögen es, wenn der kleine Mann der großen Welt den Finger zeigt. Und sie
     mögen es, wenn die großen Tiere auch mal eins aufs Dach bekommen.«
    »Im Gegenteil, sie haben ein immer noch perfekt funktionierendes Klassensystem, in dem jeder weiß, wo er hingehört.«
    (Merke: Wir sind zwar im selben Haus aufgewachsen, haben aber offensichtlich in verschiedenen Ländern gelebt.)
    |269| »Sie machen sich über die Regierung lustig.«
    »Aber sie mögen starke Politiker.«
    Wenn Vera jetzt von Mrs.   Thatcher anfängt, lege ich auf. Es entsteht eine kurze Pause, in der wir jede für sich überlegen, wie wir am besten weitermachen.
     Ich versuche es mit einem Appell an unsere gemeinsame Vergangenheit. »Kannst du dich an die Frau im Bus erinnern, Vera? Die
     Frau mit dem Pelzmantel?«
    »Welche Frau? Welcher Bus?«
    Natürlich erinnert sie sich an sie. Vera hat den Dieselgeruch bestimmt nicht vergessen, nicht das Geräusch der Scheibenwischer,
     nicht das Wackeln und Schwanken des Busses, der den frisch gefallenen Schnee zu Matsch zerpflügte. Nicht die bunten Lichter
     draußen vor den Fenstern – es war der Weihnachtsabend 1952.   Vera und ich, dick eingepackt gegen die Kälte, drückten uns auf der hintersten Sitzreihe an unsere Mutter. Und da war eine
     freundliche Frau in einem Pelzmantel, die sich über den Gang beugte und Mutter eine Sixpence-Münze in die Hand drückte, »für
     die zwei Kleinen zu Weihnachten«.
    »Die Frau, die Mutter Sixpence gegeben hat.«
    Mutter, unsere Mutter, hat ihr die Münze nicht ins Gesicht geschleudert. Sie murmelte »Dankeschön« und steckte sie in die
     Tasche. Die Schande!
    »Ach, die. Ich glaube, die war ein bisschen betrunken. Du hast schon mal davon gesprochen. Ich weiß gar nicht, warum du immer
     wieder damit anfängst.«
    »Weil das der Moment war – und zwar wirklich mehr als alles, was ich später noch erlebt habe   –, der mich für mein ganzes Leben zur Sozialistin hat werden lassen.«
    Am anderen Ende der Leitung herrscht Schweigen, und einen Augenblick lang glaube ich, Vera hat aufgelegt. Dann sagt sie: »Vielleicht
     war das der Moment, der mich zu der Frau im Pelzmantel gemacht hat.«

|270| 24.
Der mysteriöse Mann
    Vera und ich beschließen, Valentina gemeinsam vor dem Hotel Imperial zu stellen.
    »Das ist das Einzige, was wir tun können. Andernfalls wird sie uns immer irgendwie entwischen«, meint Vera.
    »Aber vielleicht dreht sie sich einfach um und läuft weg, wenn sie uns sieht.«
    »Dann laufen wir hinter ihr her. Wir verfolgen sie bis in ihren Unterschlupf.«
    »Und was ist, wenn sie Stanislav dabeihat? Oder Eric Pike?!«
    »Sei doch nicht so kindisch, Nadia. Im Notfall rufen wir eben die Polizei.«
    »Wäre es nicht besser, wenn wir es

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