Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
zurecht. Es ist nicht zu übersehen, dass er heute viel besser aussieht als beim letzten
Mal.
»Hallo, ihr zwei!«, begrüßt er uns herzlich. »Hat sich nicht viel getan in der Zwischenzeit. Seht mal, was für ausgezeichnete
Äpfel das sind!« Er bringt uns Kostproben seiner klebrigen Toshiba-Mixtur.
»Wir müssen gleich zur Bibliothek fahren. Ich habe Bücher bestellt. Mich beschäftigt immer mehr die Idee, dass es eine technikorientierte
Weltanschauung gibt, das heißt, Ideologie fließt in die Entwicklung von neuen Maschinen ein.«
Mike wirkt beeindruckt. Ich verdrehe die Augen. Vater lässt weiter seine Erkenntnisse vom Acker und wühlt tiefe Furchen auf.
»Wie ihr wisst, hat Marx selbst gesagt, dass die Produktionsverhältnisse |68| sich mit den zur Produktion nötigen Maschinen ändern. Nehmen wir beispielsweise den Traktor. Im neunzehnten Jahrhundert wurden
Traktoren individuell gebaut – von einem Handwerker in seiner Werkstatt. Jetzt fabriziert man sie am Fließband, und am Ende
des Fließbands steht ein Mann mit einer Stoppuhr, der genau misst, wie viel Zeit für den Produktionsprozess benötigt wird.
Der Produktionsprozess wird umso effizienter, je schneller die Arbeiter arbeiten. Nehmen wir einen Mann, der sein Feld pflügt.
Er sitzt allein in seiner Kabine. Er bewegt Hebel, damit der Traktor pflügt, er beachtet Gefälle und Steigungen des Geländes,
die Bodenbeschaffenheit und die Witterungseinflüsse. Er hält sich für den Herrn des Geschehens. Aber am Ende des Feldes steht
ein anderer Mann mit einer Stoppuhr. Der beobachtet den Traktorfahrer und notiert sorgfältig jede einzelne Runde und das ganze
Auf und Ab. Soundso viel Zeit darf es dauern, bis ein Feld gepflügt ist, und dafür gibt es dann soundso viel Lohn. Doch im
Zeitalter der Computerisierung wird letztlich auch der Mann mit der Stoppuhr überflüssig, weil diese jetzt direkt im Armaturenbrett
eingebaut ist.«
Er schwenkt sein Küchenmesser energisch durch die Luft und fegt sich kringelnde Apfelschalen vom Tisch auf den Teppich hinunter,
wo sie wohl früher oder später zermatscht und festgetreten werden.
»Das ist der Testosteron-Ausstoß«, sagt Mike, als wir Vater durch die geschäftigen Samstagvormittags-Straßen von Peterborough
folgen. »Schau doch nur, wie gerade er seinen Rücken wieder hält und wie sich seine Arthritis gebessert hat. Wir können ja
kaum mit ihm Schritt halten.«
Es stimmt. Vater spurtet vor uns her und schlängelt sich, ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen, zwischen den
Passanten hindurch. Er muss zur Stadtbücherei, um |69| seine Bücher abzuholen. Ein wenig schlurfend eilt er voran, hat den Oberkörper leicht nach vorn geneigt, die Arme seitlich
angelegt, Kopf und Kinn vorgereckt, die Kiefer fest aufeinander gepresst, den Blick geradeaus gerichtet.
»Ihr Männer seid doch wirklich alle gleich. Alle glaubt ihr, Sex sei ein Allheilmittel.«
»Sex heilt tatsächlich eine ganze Menge.«
»Bloß komisch, dass meine Freundinnen, wenn ich ihnen von dieser Geschichte mit Vater und Valentina erzähle, alle total entsetzt
sind. Weil sie einen verletzlichen alten Mann sehen, der ausgebeutet werden soll. Und dass alle Männer, mit denen ich rede
– ohne Ausnahme, Mike!« (drohend erhobener Zeigefinger), »nur so schief und wissend lächeln, so leise bewundernd, als wollten
sie sagen: ›Sieh mal an, der alte Knabe. Alle Achtung. Hat er sich doch tatsächlich noch so ein junges Ding an Land gezogen.
Gönnen wir ihm den Spaß.‹«
»Du musst zugeben, dass es ihm gut getan hat.«
»Ich gebe überhaupt nichts zu.«
(Mit Mike zu streiten macht nicht halb so viel Spaß wie mit Vera oder Papa. Mike ist immer so schrecklich vernünftig.)
»Meinst du nicht, dass du vielleicht etwas puritanisch bist?«
»Ich? Keineswegs.« (Und wenn schon.) »Es ist nur, weil er mein Vater ist. Ich will einfach, dass er sich verhält wie ein erwachsener
Mann.«
»Er verhält sich wie ein erwachsener Mann. Nur eben auf seine Weise.«
»Tut er nicht. Er verhält sich wie ein dummer Junge. Ein vierundachtzigjähriger dummer Junge. Ihr alle seid doch dumme Jungen,
wenn es um Sex geht. Sobald ihr Titten seht, seid ihr geliefert. Mein Gott!« Meine Stimme schrillt etwas.
|70| »Aber du siehst doch, dass ihm diese neue Beziehung gut tut. Er ist wieder richtig lebendig geworden. Das beweist doch, dass
man für die Liebe nie zu alt ist.«
»Für den Sex, meinst du.«
»Na
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