Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
ja, dafür vielleicht auch. Dein Vater hofft einfach nur, sich jetzt den Traum erfüllen zu können, den jeder Mann träumt
– dass er mit einer schönen jungen Frau im Bett liegt.«
»… den Traum, den
jeder
Mann träumt?«
In dieser Nacht werden Mike und ich nicht im selben Bett schlafen.
Vater hat in der Bibliothek die Biografien einiger Ingenieure aus dem neunzehnten Jahrhundert bestellt: von John Fowler, David
Greig, Charles Burrell und den Gebrüdern Fisken. Ermutigt von Valentinas Mann, dem intelligenten Direktor des Polytechnikums,
hat er mit der Niederschrift seines großen Werks begonnen: ›Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch‹.
Der erste Traktor wurde von John Fowler, einem klugen und enthaltsam lebenden Quäker, erfunden. Da dieser weder Wodka noch
Bier, ja noch nicht einmal Tee zu sich nahm, waren sein Verstand und Denken von einer so außerordentlichen Klarheit, dass
manche ihn sogar für ein Genie hielten.
Fowler war ein guter Mensch, der den Traktor als Mittel betrachtete, die werktätigen Massen von ihrer geistlosen Plackerei
zu befreien und ihnen dadurch den Zugang zu einem geistig erhebenderen Leben zu ermöglichen. Tag und Nacht arbeitete er an
der Verwirklichung dieser Idee.
Vater schreibt auf Ukrainisch und überträgt es dann unverdrossen für Mike ins Englische. Er hat bereits auf dem |71| Gymnasium Englisch und Deutsch gelernt. Obwohl ich ihm mitunter bei der Übersetzung ein wenig unter die Arme greifen muss,
überrascht es mich doch, dass sein Englisch im Schriftlichen so gut ist.
Der erste Traktor, den Fowler baute, war eigentlich kein Traktor im engeren Sinn, da er keinen Pflug zog. Nichtsdestotrotz
war es eine erstaunlich kunstvolle Konstruktion. Fowlers Traktor bestand nämlich aus zwei Motoren, die jeweils am Ende des
Feldes einander gegenüber aufgestellt und miteinander durch ein Kabel verbunden waren. An diesem Kabel waren die Pflugscharen
befestigt. Sobald die Motoren sich drehten, zog das Kabel die Pflugscharen auf und ab, hin und her.
Vaters Stimme summt auf und ab wie eine zufriedene Hummel. Das Zimmer ist warm und voller Erntegerüche. Draußen vor dem Fenster
ziehen rosa Abendwolken über die Felder. Irgendwo fährt ein Traktor langsam seine Runden, auf und ab und hin und her. Er pflügt
die bereits abgebrannten Stoppeln unter die Erde.
|72| 6.
Hochzeitsbilder
Trotz aller Anstrengungen von Veras und meiner Seite reisten Valentina und ihr Sohn Stanislav am 1. März wieder nach England ein. Als sie in Ramsgate ankamen, hatten sie Touristenvisa für ein halbes Jahr in ihren Pässen. Niemand
im britischen Konsulat in Kiew hatte Einwände gegen die Erteilung dieser Visa erhoben, niemand in Ramsgate unterzog ihre Pässe
einer mehr als kursorischen Überprüfung. Zurück in Peterborough, zogen Valentina und Stanislav bei Bob Turner ein. Valentina
besorgte sich einen Job in einem Hotel in der Nähe der Kathedrale und griff umgehend die Heiratspläne mit meinem Vater wieder
auf. So viel zumindest konnte ich in stundenlangen Telefonaten mit ihm nach und nach in Erfahrung bringen.
Vater ist bemüht, meine Schwester und mich über seine Pläne im Dunkeln zu lassen. Sobald wir ihn direkt danach fragen, wechselt
er das Thema, aber er ist kein besonders guter Lügner und lässt sich leicht bei Unwahrheiten ertappen. Er vergisst nämlich,
was er wem von uns beiden erzählt hat, und glaubt außerdem, dass wir nach wie vor nicht miteinander sprechen. Aber mittlerweile
tauschen wir unsere Informationen aus.
|73| »Natürlich hat er ihr die achtzehnhundert Pfund dann doch geschickt, Vera. Er hat sie auf ihr Bankkonto eingezahlt und sie
hat sie abgehoben. Und außerdem hat er ihr in der Zeit, als sie fort war, regelmäßig Geld überwiesen.«
»Wirklich? Das geht zu weit!« Theatralisches Große-Schwester-Aufstöhnen. »Das muss fast seine gesamte Rente gewesen sein.«
»Und er hat ihr auch Geld geschickt für die Reisebus-Tickets von Lwiw nach Ramsgate. Und daraufhin hat sie ihm mitgeteilt,
dass sie noch mehr Geld braucht, für ein österreichisches Transitvisum!«
»Mutter hatte vollkommen Recht«, sagt Vera. »Er hat keinen Funken gesunden Menschenverstand.«
»Er wird schon aufhören damit, wenn ihm das Geld ausgeht.«
»Vielleicht. Vielleicht fängt ja aber auch alles erst richtig an.«
Vater hat nämlich nicht nur diese mittellose ukrainische Schönheit gerettet, sondern wird auch
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