Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
Vom Netzwerk:
einen ganz gewöhnlichen Ehestreit handeln,
     oder? So was kommt doch ständig vor. Wenn die Polizei immer eingreifen würde, sobald Eheleute aneinander geraten, hätten wir
     viel zu tun. Seien Sie mir nicht böse, aber ich habe den Eindruck, dass Sie sich in seine Angelegenheiten einmischen, ohne
     dass er Sie darum gebeten hat. Sie sind ja offensichtlich nicht mit der Dame einverstanden, die er geheiratet hat. Aber wenn
     er sie hätte anzeigen wollen, hätte er doch selbst angerufen, oder? Womöglich hat’s ihm sogar Spaß gemacht.«
    Vor meinem inneren Auge sehe ich das Bild meines alten Vaters, wie er dasteht, gebeugt, klapperdürr, und versucht, dem nassen
     Geschirrtuch auszuweichen, während Valentina, angetan mit gelben Gummihandschuhen, groß und üppig vor ihm steht und lacht.
     Der Polizist hat aber ein ganz anderes Bild im Kopf – plötzlich begreife ich.
    |160| »Sie glauben doch nicht etwa, dass es sich dabei um ein Sex-Spielchen handelt – ich meine, dieses nasse Handtuch und   …«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Nein, aber gedacht haben Sie es, oder?«
    Der Polizist hat Übung mit Leuten wie mir. Höflich versucht er meinen Ärger wieder zu zerstreuen, und schließlich einigen
     wir uns darauf, dass er hin und wieder bei Vater vorbeischaut, wenn er seine Runde macht. Damit muss ich mich wohl oder übel
     zufrieden geben.
    Der dritte Anruf geht an meine Schwester. Vera versteht sofort, was los ist, und sie ist empört.
    »Dieses Luder. Diese kriminelle Schlampe. Aber dass er auch so dumm sein kann. Er verdient es ja gar nicht anders.«
    »Mal davon abgesehen, was er verdient oder nicht, Vera, ich finde, wir müssen ihn da rausholen.«
    »Wäre besser, wenn wir
sie
rausholen könnten. Wenn er erst einmal draußen ist, kommt er nie wieder rein, weil sie dann das Haus hat.«
    »Bestimmt nicht.«
    »Du weißt doch, wie das ist. Wer hat, hat Recht.«
    »Klingt wie aus Mrs.   Zatshuks Gesetzbuch.«
    »Bei mir war es auch so. Als Dick damals anfing, sich hässlich zu verhalten, wollte ich nur noch weglaufen, aber mein Anwalt
     riet mir, unbedingt zu bleiben, weil ich andernfalls das Haus hätte verlieren können.«
    »Nur dass Dick nicht versucht hat, dich umzubringen.«
    »Glaubst du wirklich, Valentina will Papa umbringen? Ich denke, sie will ihm bloß Angst machen.«
    »Was ihr bestens gelungen sein dürfte.«
    Sie schweigt. Im Hintergrund höre ich Jazzmusik aus dem Radio. Dann ist die Musik zu Ende und Beifallklatschen setzt ein.
     Und dann sagt Vera mit ihrer Große-Schwester-Stimme |161| : »Weißt du, Nadia, manchmal frage ich mich, ob es nicht vielleicht doch so etwas wie eine Opfermentalität gibt. So wie auch
     in der Natur für alle Arten eine Hierarchie von Dominanz und Unterordnung existiert.« (Jetzt ist sie wieder in ihrem Fahrwasser.)
     »Vielleicht entspricht es einfach seiner Natur, sich treten zu lassen.«
    »Du meinst, das Opfer ist selbst schuld?«
    »Na ja, in gewisser Weise schon.«
    »Aber als Dick gemein zu dir wurde – da warst du nicht schuld.«
    »Nein, natürlich nicht. In Bezug auf den Mann ist die Frau immer das Opfer.«
    »Klingt verflixt feministisch, Vera.«
    »Feministisch? Du liebe Zeit – ich dachte, dass sei gesunder Menschenverstand. Aber du wirst zugeben, dass irgendetwas nicht
     stimmen kann, wenn ein Mann sich von einer Frau schlagen lässt.«
    »Meinst du damit, dass es umgekehrt in Ordnung ist, wenn ein Mann seine Frau schlägt? Genau das sagt Valentina nämlich auch.«
     Ich kann nicht anders, ich muss sie ein bisschen provozieren. Aber wenn ich nicht aufpasse, endet dieses Gespräch wie früher
     alle unsere Gespräche, indem eine von uns einfach den Hörer aufknallt. »In gewisser Beziehung könntest du natürlich durchaus
     Recht haben, Vera«, wiegele ich deshalb schnell ab. »Nur ist es vielleicht eher eine Frage von Körpergröße und Stärke als
     von Persönlichkeit oder Geschlecht.«
    Eine Weile sagt sie gar nichts. Dann räuspert sie sich. »Ich weiß nicht, Nadia. Vielleicht stimmt das mit der Opfermentalität
     ja auch nicht. Vielleicht ist es einfach so, dass Papa Gewalt anzieht. Hat Mutter dir nie erzählt, was passiert ist, als sie
     sich kennen gelernt haben?«
    »Nein. Erzähl doch mal.«
     
    |162| Eines Sonntags im Februar 1926 war mein Vater unterwegs durch die Stadt. Er hatte seine Schlittschuhe um den Hals gehängt
     und in der Tasche ein hartgekochtes Ei und ein Stück Brot. Die Sonne schien, eine dünne frische Schneedecke lag

Weitere Kostenlose Bücher