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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Augenbrauen, schlägt ihre Beine andersherum übereinander und sagt nichts.
    »Was hat sie getan, Papa? Sag mir, was passiert ist.«
    »Sie hat Wasser auf mich geschüttet.«
    »Er hat schimpfen mich«, schmollt Valentina. »Schimpfen böse Worte. Redet schlecht. Ich sage Mund halten. Er nicht Mund halten.
     Ich schütte Wasser. Ist nur Wasser. Wasser nicht macht weh.«
    Der Polizist macht einen Schritt auf mich zu.
    »Der eine sagt so und der andere sagt anders«, meint er. »Das ist immer so bei Familienstreitereien. Ich kann da nicht Partei
     ergreifen.«
    »Aber Sie sehen doch, was hier vor sich geht!«, sage ich.
    »Soweit ich das beurteilen kann, wurde keine Straftat begangen.«
    »Trotzdem ist es ja wohl Ihre Pflicht, die Schwachen zu schützen, oder? Sie brauchen nur die Augen aufzumachen. Sogar wenn
     Ihnen tatsächlich nichts anderes auffallen sollte, müssen Sie doch sehen, dass Körpergröße und Kraft hier sehr ungleich verteilt
     sind. Ebenbürtig sind die beiden sich jedenfalls nicht, oder?« Wieder fällt mir auf, wie stark Valentina zugenommen hat, aber
     trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – scheint sie über eine ganz eigenartige Anziehungskraft zu verfügen.
    Der Polizist kann seine Augen kaum von ihr abwenden. »Wir können Leute doch nicht festnehmen, nur weil sie größer sind als
     andere«, sagt er. »Aber wenn Ihr Vater es wünscht, werde ich natürlich weiterhin ein Auge auf ihn haben.« Sein Blick wandert
     von Valentina zu Vater.
    »Sie sind nicht besser als Stalins Polizisten«, fährt der ihn an. Seine hohe Stimme zittert. »Der ganze Staatsapparat will
     doch immer nur die Mächtigen gegen die Schwachen verteidigen.«
    |169| »Tut mir leid, wenn Sie das denken, Mr.   Majevski«, gibt der Polizist höflich zurück. »Aber wir leben in einem freien Land und Sie haben selbstverständlich das Recht,
     Ihre Meinung frei zu äußern.«
    Valentina schwingt sich von ihrem Hocker.
    »Mir jetzt Zeit gehen arbeiten«, sagt sie. »Du sauber machen dein Papa Scheiße.«
    Auch der Polizist verabschiedet sich.
    Vater sinkt auf seinen Stuhl, aber ich lasse nicht zu, dass er sitzen bleibt.
    »Papa, bitte zieh dir erst einmal Hosen an«, sage ich. Seine Nacktheit ist mir so schrecklich, dass ich ihn gar nicht anschauen
     kann. Ich kann nicht ertragen, dass er mich ansieht wie ein geprügelter Hund. Ich kann auch den Gestank nicht ertragen, der
     aus seinem Zimmer kommt. Zweifellos erträgt auch Valentina dies alles nicht, aber ich habe mein Herz verhärtet: Sie hat es
     so gewollt.
     
    Während Vater sich wäscht und anzieht, durchstöbere ich das Haus noch einmal. Irgendwo müssen sich doch Briefe von Valentinas
     Rechtsanwalt und Informationen über ihr Einwanderungsgesuch finden lassen. Wo bewahrt sie nur ihre Korrespondenz auf? Wir
     müssen wissen, was sie plant und wie lang sie noch hier zu bleiben gedenkt. Zu meiner Überraschung stoße ich im Wohnzimmer
     auf dem Tisch inmitten der vor sich hin faulenden Äpfel auf einen kleinen tragbaren Fotokopierer, den ich bislang für irgendwelches
     Computerzubehör von Stanislav gehalten und deshalb nicht beachtet hatte.
    »Was ist das denn, Papa?«
    »Ah, Valentinas neues Spielzeug. Damit kopiert sie Briefe.«
    »Welche Briefe?«
    »Ist ihr neuester Spleen, dass sie alles kopiert.«
    |170| »Sie kopiert deine Briefe?«
    »Ihre Briefe. Meine Briefe. Vielleicht glaubt sie, das ist modern. Von allen Briefen macht sie Kopien.«
    »Aber warum?«
    Er zuckt die Achseln. »Vielleicht denkt sie, Kopien haben mehr Prestige als etwas, was mit Hand geschrieben ist.«
    »Prestige? So was Dummes. Nein, das kann nicht der Grund sein.«
    »Kennst du das Panoptikum-Prinzip? Jeremy Bentham, englischer Philosoph. Entwurf für ein perfektes Gefängnis. Der Gefängniswärter
     sieht alles, von jedem Punkt aus, aber bleibt selbst unsichtbar. So ist es mit Valentina. Sie weiß alles über mich, aber ich
     weiß nichts über sie.«
    »Wovon redest du denn, Papa? Wo sind die ganzen Briefe und Kopien?«
    »Vielleicht in ihrem Zimmer.«
    »Nein, da habe ich schon nachgesehen. In Stanislavs Zimmer sind sie auch nicht.«
    »Keine Ahnung. Vielleicht im Auto. Sie schleppt immer alles ins Auto.«
     
    Das Schrottauto steht in der Einfahrt. Aber wo sind die Schlüssel?
    »Braucht keine Schlüssel«, sagt Vater. »Das Schloss ist kaputt. Sie hatte die Schlüssel im Kofferraum eingesperrt. Ich habe
     mit dem Schraubenzieher das Schloss aufgebrochen.«
    Wie ich feststelle, hat

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