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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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Dschargal dehnte nach der Art gestandener Männer jedes Wort ganz schrecklich, und als wir zu Ende gegessen hatten, holte er selbst eine Flasche Wodka hervor und fragte nach den Schnapsgläsern. Er beeindruckte uns.
    Bis zum nächsten Frühling war Papa zufrieden. Ich war froh und Mama auch. Man hatte sie noch im Herbst entlassen, und so war ich im Ger nicht allein. Sie war ziemlich ergraut, ihre Brüste hingen herunter, und ihr Bauch stand vor. Aber Papa strotzte vor Kraft, er sah wie ein wohlhabender Edzen aus, und alles glückte ihm. Die Herde war sogar den Winter über fett geworden, und wir waren glücklich, wie damals, als Magi noch bei uns und Ojuna erst am Kommen war.

    Papa behandelte Dschargal und Najma wie Söhne, und sie schätzten das, glaube ich. Ihr eigener Vater war ständig fort, und Ariuna konnte ihnen die Männersachen nicht beibringen. Beide waren geschickt, Najma ritt gut, wenn er schoss, traf er beinahe oder ganz. Dschargal wiederum war stark, und so kam Papa der Einfall, sie könnten sich im kommenden Sommer bei unserem Somonnaadam versuchen. Najma würde schießen und Dschargal ringen. Najma wollte lieber das Pferderennen reiten, aber das lehnte Papa gleich ab.
    Es war so oder so egal. Sobald Nara auftauchte, ging alles zum Teufel.
    Nara kam früher, als wir dachten. Meistens blieb sie nach dem Ende des Schuljahres noch ein paar Tage in der Schule, räumte auf und erledigte ihre Lehrerinnensachen. Aber dieses Jahr nicht. Sie brachte auch kein Kind mit, der Direktor hatte es verboten. Sie tauchte einfach mit zwei Taschen vor dem Ger auf.
    Das waren schöne Tage damals. Die Sonne setzte uns in jenem Sommer nicht so zu wie sonst, selbst über Mittag saßen wir mit einer Arbeit vor der Schwelle und redeten über die Kinder in Naras Klasse und übers Kochen. Mama ließ uns alles nach unseren eigenen Vorstellungen machen, rückte dann und wann mit etwas aus ihrer Jugend heraus und rieb uns am Abend die glühenden Rücken mit Talg ein. Nichts deutete darauf hin, dass Nara derart den Kopf verlieren würde.
    Wir machten uns sogar gemeinsam über Dschargal lustig.
    Er hatte einen Hals wie Baisas Stier. Der war im ganzen Somon dafür bekannt, dass er fast nicht den Kopf drehen konnte, so einen kurzen und gedrungenen Hals hatte er, und anstatt den Kopf zu drehen, rollte er nur zornig mit den Augen, bis ihm violette Äderchen aus den Augenwinkeln quollen
und das Augenweiß das ganze Auge überzog. Für Dschargal wiederum musste Ariuna sämtliche Deels umnähen. Nara und ich stellten uns vor, wie sich Dschargal in Papas karminroten Deel zwängen würde. Die Augen würden ihm aus den Höhlen treten, halb erwürgt, würde er rot anlaufen und den Verschluss trotzdem nicht zuknöpfen können. Nara und ich wälzten uns vor Lachen, bis uns die Luft ausging und Mama wissen wollte, warum wir so kicherten und spuckten und uns mit den Händen unters Kinn fassten.
    Die Männer sahen wir nur am Morgen und am Abend und auch nur kurz, und wir freuten uns schrecklich auf sie. Papa nahm zu und begann Witze zu erzählen, und Dschargal und Najma waren ständig hungrig, also zogen wir ihnen immer sofort die leergegessenen Schalen weg und schoben sie ihnen randvoll wieder zurück.
    Mama sagte, es sei eine Freude, so löchrige Mägen würden jedem Frauenzimmer Ehre machen. Papa erzählte, wie der Tag gewesen war, und Mama fragte besorgt, ob sie auch keine Wölfe gesehen hätten, weil die Narben von den Fangzähnen bei Ojuna nie ganz verschwunden waren. Wenn Papa nichts sagte oder nur etwas vor sich hin brummte, ließ sie ihn am nächsten Tag nicht ohne Gewehr zur Herde, da konnte er sich noch so sehr sträuben.

    Was vorausgegangen war, weiß ich nicht, aber mir fiel auf, dass Nara um die Mittagszeit unauffindbar war. Eine Weile darauf sah ich sie wieder, wie sie stopfte oder den Ofen auskehrte, aber etwas stimmte nicht. Die Tage spulten sich ab, und Nara verschwand stets zur gleichen Zeit und kam immer später zurück. Mama, Ojuna und ich waren zu dritt, das genügte für die Arbeit, und Nara hatte immer ihre Plätze und Verstecke
gehabt, die niemanden etwas angingen, nicht einmal mich, daher ließen wir es lange dabei bewenden.
    Das war nicht gut.
    Nicht einmal Papa unternahm etwas, als Nara tagsüber bei der Herde aufzutauchen begann.
    Sie brachte Dschargal jeden Tag das Mittagessen, und dann entfernten sie sich unter irgendeinem Vorwand, um sich bei den Felsblöcken niederzulassen, und später musste Papa immer nach ihnen

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