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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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Revolution schulfrei, und nachdem Nara lauter Bilder von Roten Sternen eingesammelt hatte, lieh sie sich von Anra zwei faule, dicke Stuten aus, und wir bummelten langsam durch die Gegend und gedachten der alten Zeiten.
    Nara liebte ihre Kinder. Sie lehrte sie Lesen und Schreiben. Mit den Besten las sie schon seit einem Monat Tschuk und Gek. Zweimal hatte sie in den Ferien Waisenkinder, die nichts als das Internat kannten, ins Ger mitgenommen. Sie brachte ihnen bei, zum Rauchloch hinaufzuklettern, verdrossene Stuten zu melken, und am Ende der Ferien trieben die Aufgeweckteren schon die Ziegenherde und kannten alle Nomadenkommandos. Dann aber musste sie sie ins Internat zurückbringen. Alle brannten durch und kehrten zu Ojuna und Papa zurück. Papa war es egal, Ojuna hatte sie liebgewonnen, aber der Schuldirektor redete von Gesetzen, und in der Schule gab es böses Blut.
    Ab und zu fuhr Nara an den Wochenenden ins Ger. Während der Woche hatte sie im Schulgebäude eine kleine Kammer, mit Alexej teilte sie sich den Kocher und das Klosett. So hatten die beiden sich kennen gelernt.

    Alexej war in den Somon gekommen, um eine Zweiglinie der Baikal-Amur-Eisenbahnmagistrale zu vermessen. Keiner nahm das ernst, aber nicht einmal der Somonvorsitzende konnte ihn so einfach abweisen. Sie verfrachteten ihn in das Häuschen zu Nara und warteten, bis man ihn aus Moskau abberufen würde. Das sagte Anra, Naras Freundin, aber ich erzählte es Nara nicht. Dass Alexej nichts taugte, musste sie selbst wissen.
    Ich war ungefähr eine Woche bei Nara.
    Sie hatte den burjatischen Lehrerinnen gesagt, sie sei krank, und sie war es ja auch. Alexej drängte sie, mit ihm nach Moskau zu fahren. Dann kamen seine Freunde. Sie wohnten im Somon-Wohnheim und machten jeden Tag mit uns einen Ausritt, ansonsten hockten sie in Alexejs Zimmerchen. Nara und ich kochten und trugen die leeren Flaschen hinaus.
    Eines Abends erklärten sie, sie wollten einen Bären jagen. Am nächsten Tag zogen sie mit Gewehren los und kamen mit blutigen Wolfsjungen zurück. Die Welpen röchelten, und Alexej erledigte sie im Flur.
    In dieser Nacht schlief Alexej bald ein. Nara und ich trugen wieder die Flaschen hinaus und füllten neue Kekse in die Schälchen. Ich ging dann mit jemandem, um weitere zu holen, und indessen wurde Nara von zwei der Männer niedergedrückt, und sie machten es ihr. Als ich zurückkam, lag Nara auf dem Boden, den Rock hochgezerrt, und die anderen sangen russische Lieder und reichten sich auf mongolische Art mit beiden Händen die Gläschen. Alexej kam, schleppte Nara in ihr Zimmer, prügelte die anderen aus dem Haus und machte es ihr auch noch. Das hab ich nicht von Nara. Ich stand in der Tür und sah zu. Nara streichelte ihm übers Haar. Sie war zwanzig, und es war gut, das zu wissen. Die meisten
der Jüngeren hatten schon Männer gehabt. In ihrem Alter begann das ein wenig eine Schande zu sein. Am Morgen tuschelten wir miteinander im Bett. Sie sagte, es sei gar nicht so schlimm gewesen, und ich erzählte ihr von Mergen. Wir stimmten beide darin überein, dass es später auch schön sein könnte. Später.
    Großmutter sagte immer, die jungen Männer ritten mit geschmiedeten Ketten herum. Sie jagen durch die Steppe, lauern im Umkreis der Gers und passen sich dann eine ab und fangen sie in ihren metallenen Schlingen. Diejenige, die das metallene Auge zu Boden schleudert, wird die Ihre und gebärt ihnen starke, gesunde Kinder. Nara und ich stimmten darin überein, dass wir lauter Jungen wollten. Da wusste ich noch nicht, dass ich Dolgorma zur Welt bringen würde.
    Alexej wurde nach ein paar Tagen abberufen. Die Zweigbahn der Baikal-Amur-Magistrale wurde nicht gebaut. Alexej ließ Nara seine Moskauer Adresse da und einen kurzen russischen Faltenrock. Ein paar Wochen lang glaubte Nara, es wäre ihr auch etwas anderes von ihm geblieben, das stimmte aber nicht. Es ging ab mit den blutigen Untergängen der tyrannischen Sonne.
    Ein roter Streifen über unseren Bergen sprach von Glück.
    Großmutter liebte die Farbe Rot.

    Mama blieb noch lange krank. Es war die Gallenblase. Daran leiden bei uns viele, also atmeten wir alle auf. In der Stadt sagen manche, das käme von der dicken Talghaut, die sich immer auf der kalten Suppe bildet, von den speckigen Hinterteilen der Schafe, die jeder hier so gerne isst, aber das kann nicht sein. Es ist das Essen von Dschingis Khan, Ögödei, Kublai, Temur, Suchbaatar, Tschojbalsan, Tsedenbal und Bagabandi.
Es ist das Essen

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