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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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einem Ger aber nicht gut möglich ist, und so ritt er wenigstens am Morgen früher zur Herde, wenn Nara zum Beispiel beschäftigt war, damit sie ihn nicht bemerkte. Das wurde jedoch immer schwieriger, weil Nara aufhörte, etwas zu tun. Sie war dahintergekommen, dass er ihr auf diese Art entwich, und ließ ihn daher lieber nicht aus den Augen.
    Er erwachte, und sie blickte ihn an. Er schlief ein und wusste, sie würde jedes Zittern seiner Nasenlöcher, jeden kleinsten nächtlichen Schnarcher verfolgen, bevor sie selbst gegen Morgen, schon angekleidet, ein Weilchen dösen würde.
    Allmählich begriffen wir alle, dass Dschargal lieber bis ans Lebensende mit Schande bedeckt ginge, als diese Frau zu heiraten. Weil das nicht mehr unsere Nara war und die Hochzeit das Einzige, woran sie sich klammerte.
    Es ging nicht anders, Mama machte sich auf den Weg zu Chiroko, ihrer totgeschwiegenen ältesten Schwester. Schartsetseg etwa habe ich nie ihren Namen aussprechen hören, und Mamas jüngerer Bruder Onon blickte angeblich, ehe er von ihr sprach, in alle Himmelsrichtungen und zeichnete mit der Hand auf mustergültige Art einen magischen Bogen. Sicher ist sicher, pflegte er zu sagen.
    Mama hatte nichts gegen Chiroko und sprach zwar selten von ihr, ansonsten aber genau wie von den anderen. Auch wir waren so erzogen worden. Mama verteidigte unsere Tante immer vor ihren Geschwistern, und darin verstanden sie und Großmutter Dolgorma sich. Ich weiß zwar nichts davon, dass Großmutter und sie sich irgendwann getroffen hätten, wenn aber die Rede auf Chiroko kam, wurde Großmutter hellhörig, und wann immer jemand sie auch nur im Geringsten verunglimpfte, spöttisch lächelte oder mit der Hand einen Schutzkreis
zog, begann sie zu fauchen und jagte so eine Person augenblicklich aus dem Ger.
    Nara nahm nichts mehr wahr außer Dschargal. Manchmal hörte man, wie sie langgezogene Melodien summte, fremdartige Lieder ohne Worte, in denen das Gras von verbotenen Dingen rauschte und Adler sich kopfüber von Felsen stürzten.
    Dschargal bemühte sich, sich wie früher zu verhalten, wollte aber nichts von dem, was sie gemeinsam getan hatten, noch tun. Wenn ihn Nara abends mit einer Handbewegung ins Freie lockte, entzog er sich immer irgendwie und blieb im Ger.
    Nach sieben langen Tagen kam Mama mit Chiroko zurück. In diesen Tagen hatte Nara zu sprechen aufgehört, und zur Herde ritt nur noch Papa mit Najma, weil Nara Dschargal keinen Schritt von sich wegließ. Ich kümmerte mich um Ojuna und das Ger, und Nara spielte mit Dschargal die ganze Zeit seltsame Spiele.
    Mir lief ein Schauder über den Rücken, wenn ich von draußen ihr lautes, dummes Lachen hörte und ich mir Dschargals angedeutetes Lächeln vorstellte, diesen starren Ausdruck von Gefühllosigkeit, den ich bei ihm öfters sah, wenn sie zusammen waren. Ich mied beide.
    Nara kehrte müde und schmutzig zurück, die Haare mit Gras verfilzt und den Ausdruck eines schuldbewussten Kindes im Gesicht. Dschargal beschäftigte sich abends mit der Reinigung von Papas Jagdmessern, und Nara saß auf dem Bett, spielte mit ihren Fingern und wimmerte etwas vor sich hin. Sie sah in diesen Momenten genau wie Ojunbats sechste Tochter aus, die in dem Frühling vor Ojuna zur Welt gekommen war.
    Papa hatte Ojunbat verspottet, dass er nichts als Weiber machen könnte und ob er sich nicht traue, es ein siebtes Mal zu
probieren. Wir hatten sie in jenem Jahr oft besucht. Ojunbats Frau Soldoo hatte an Mama Gefallen gefunden und ihr eine Menge Ratschläge für die Schwangerschaft gegeben. Sechsmal zu gebären ist immerhin beachtlich, also hörte Mama zu und machte keinen Pieps, meiner Meinung nach war ja die Hälfte dieser spannenden Gebärgeschichten Unsinn. Aber da Soldoo fast ihr ganzes Leben lang schwanger gewesen war, hat es sich möglicherweise nicht um Erfindungen gehandelt.
    Während Papa Ojunbat hänselte und Mamas Bauch beäugte, lauschte Mama den Wasserfällen an Ratschlägen und vielleicht wahren Begebenheiten, und wir drei, Magi, Nara und ich, hüteten Soldoos Baby. Soldoo konnte es nicht genug loben, weil es fast nicht plärrte, sich nicht viel bewegte und viel schlief. Nur ganz angesabbert waren wir immer.
    Nach ein paar Monaten konnte es immer noch nichts, und dann sagte ihnen der Doktor, es würde nie anders werden. Sie lag nur, und Ojunbats Ger stank derart nach Urin, dass wir sie zu besuchen aufhörten.
    Sie gaben ihr auch keinen Namen, sagten nur Kleine zu ihr. Ein Name hatte keinen Sinn für

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