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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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aller Unsrigen, und niemand kann behaupten, dass sie es mit der Talgsuppe nicht zu was gebracht hätten. Altes ist erprobt. Da es uns aber die Ärztin gesagt hatte, brachten wir Mama nichts von der Art mit. Papa steckte ihr zwar ab und zu heimlich etwas in die Tasche, aber Mama aß es ohnehin nicht, und als die im Krankenhaus es entdeckten, explodierte die Ärztin, wir sollten Mama mitnehmen, weil mit derart Beschränkten ohnehin alles sinnlos wäre und Mama hier unnütz ein Bett in Beschlag nähme.
    Noch nie hatte jemand Papa so angeschrien, und es machte ihn verlegen, weil die Ärztin ein junges Frauenzimmer und er ein angesehener Mann war, der unter seinem Plastikkittel einen prächtigen karminroten Deel trug, von dem die Ärztin nur träumen konnte.
    Ins Krankenhaus fuhr dann eher ich. Ich kaufte von Erkas und Purews Geld Verbände und Pflaster ein, auch eine Flasche für die Ärztin, und brachte Mama zweimal in der Woche Essen mit. Mamas Behandlung war seltsam. Sie lag ständig, aß wenig, nur zweimal täglich trank sie ein Gläschen Wodka, den die Schwester von einem ratternden Wägelchen austeilte. Das Klirren der Gläschen bedeutete immer, dass ich schon gehen musste. Ein großer Kühlschrank voller Wodkaflaschen war auch das Einzige an Krankenhaustechnik, was ich auf Mamas Stockwerk sah.
    Am Abend, wenn nur ich, Papa und Ojuna beisammensaßen, fehlte uns Mama. Ich sehe keinen Grund, warum sie nicht hier sein sollte, grummelte Papa manchmal in seinen Kragen, und dann schauten wir versunken zu, wie die heiße Luft über dem Ofen zitterte. Der Sommer ging zu Ende, und weder im Herbst noch im Winter, noch im ganzen nächsten Jahr fuhr ich in die Stadt zurück.

    Am meisten fehlte Mama für Papa. Das Ger versorgte ich, aber Ojuna kehrte im Herbst ins Internat zurück, Nara in die Schule, und so war Papa mit der Betreuung der Tiere allein. Das war nicht zu bewältigen, und daher bat Papa Ariuna, seine Schwester, ihm für die Herde ihre zwei jüngeren Söhne, Dschargal und Najma, zu borgen.
    Tsoboo, ihr Vater, fuhr mit den Jeeps fortwährend dahin und dorthin, und sie lebten hauptsächlich davon. Vieh hatten sie wenig, aber noch zwei weitere Söhne. An jedem Schin Dschil beteuerten sie, dies wäre ihr letztes Jahr in der Steppe, dann würden sie in die Stadt ziehen, und ich hatte mich von Kindheit an gefreut, dass wir so nahe Verwandte in der Hauptstadt haben würden.
    Hätte Papa gewusst, wohin das führte, hätte er sich die Söhne niemals geborgt. Wenigstens Dschargal nicht. Aber wir konnten es ja nicht wissen. Papa brauchte jemanden, und als sie heranritten, ließ Burchan uns keine Warnung zukommen. Der Himmel war glatt wie Glas und rauchgrau. Es schneite zum ersten Mal an diesem Tag, und wir deuteten das fälschlicherweise als ein gutes Zeichen.

    Die zarten, schütteren Flocken und die zwei sich langsam nähernden Silhouetten, die keinen Staub aufwirbelten, sehe ich bis heute vor mir. Wir wussten, sie würden kommen, deshalb warteten Papa und ich vor dem Ger. Ich hatte groß aufgekocht, Papa hatte aus gutem Tabak ein paar Gästezigaretten gedreht, und dann saßen wir nur stundenlang vor der Schwelle, ich goss Tee nach, und vom unentwegten Ausschauhalten schmerzten uns die Augen. Dschargal war der Ältere, das war augenblicklich offenkundig. So einen schönen Mongolen hatte ich nie zuvor gesehen.

    Seit der Zeit, als wir das letzte Mal bei Tsoboo und Ariuna gewesen waren, waren ein paar Jahre verstrichen, wir starrten einander erst eine Weile an, dann reichten sie und Papa sich die Hände, und ich holte die Nudeln und all den Rest.
    Er hatte Schultern, breit wie ein Yak, und Arme, kräftig wie Bäume an der Wurzel. An den Füßen trug er weiche Pelzschuhe, die ihm Ariuna mit roten Kriegern bestickt hatte. Wenn er aufstand, war es, als wüchse ein Berg aus der Erde hervor, und wenn er saß, war er immer noch so groß, dass sich Papa, wenigstens für diesen ersten Abend, ein kleines Kissen unter den Hintern schob. Ariuna hatte Najma erwartet, als Mama mit Magi schwanger war. Najma verlor ein bisschen neben Dschargal, aber war er allein, sah auch er gut aus.
    Ich erinnerte mich daran, wie es mir immer neben meiner älteren Schwester gegangen war, und so bemühte ich mich von Anfang an, ihn verstehen zu lassen, es mache mir nichts aus, dass er nicht war wie sein Bruder, dass es mir egal sei.
    Dieser erste Abend dauerte lange. Dschargal und Najma pafften, Papa sprach mit ihnen wie mit ihm ebenbürtigen. Vor allem

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