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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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rufen, weil Dschargal von selbst nicht gekommen wäre und Nara im Traum nicht daran dachte, von seiner Seite zu weichen. So ging es ein paar Tage lang, Papa kriegte schlechte Laune, und Nara und Dschargal fingen an, sogar nach dem Abendessen gemeinsam hinauszugehen.
    Einfach so, am Abend und nur zu zweit. Als wäre nichts dabei. Nara hatte fast aufgehört, sich mit mir zu unterhalten, und Papa lief abends ohne Unterlass wie ein gefangenes Tier im Ger im Kreis herum. Mama wartete.
    Die Abendessen wurden schweigsam und beklommen, als wären alle Schatten im Zwielicht abgemagert und kantig geworden, und die Worte klangen rau wie heisere alte Hunde.
    In einer derart gespannten Stille schlug Papa mit der Faust auf den Tisch.
    Wenn Stille noch stiller werden kann, dann war das damals der Fall.
    Das Holz erdröhnte, Papa holte Luft, und als er zu Ende gesprochen hatte, richteten sich alle Blicke auf Dschargal. Naras Blicke loderten am gierigsten. Als sollten sie sich in Dschargal festkrallen, sich in ihm auflösen und nie mehr in die Welt zurückkehren. Dschargal nickte. Nara sprang von ihrem Hocker und begann ihn mit feuchten Küssen zu überschütten.
Sie küsste seine Wangen, seine Stirn, den Hals, über den wir uns früher gemeinsam lustig gemacht hatten, und dann bedeckte sie sogar seine Arme bis zu den Fingerspitzen mit ihren ungeduldigen Lippen.
    Papa wandte sich ab, Mama begann das Geschirr abzuräumen, und Ojuna und ich wussten nicht, wohin wir schauen sollten.
    Dschargal saß die ganze Zeit hindurch reglos da, in Schatten getaucht wie ein Tempelburchan und ebenso majestätisch, mit einem leisen Lächeln auf dem Gesicht. Er hatte zugestimmt, Nara zu heiraten. Sie würde noch ein Jahr in der Somonschule unterrichten, der Sommer war bald vorbei, und bis zum Beginn des neuen Schuljahrs eine andere Lehrerin zu finden, wäre nicht leicht, aber im nächsten Sommer würden aus allen Ecken Verwandte zu uns strömen, weil Tuuleg und Alta ihre erste Tochter verheirateten. So sollte es sein. Damals.
    Papa warf Nara noch einen letzten Blick zu und ging hinaus, um zu rauchen.
    Seine Augen sagten: Du bist nicht von mir, also meinetwegen, oder: Du bist ein Kuckucksei, aber ich mag dich trotzdem; ich weiß nicht, was sie sagten.
    Fest steht, einen Vetter zu heiraten, ist gefährlich, und Papa wandte nichts dagegen ein. Andererseits ging es ihm dann am Ende am schlechtesten von allen.
    Genauso schlecht wie damals, als Magi uns verließ.
    Am sonderbarsten war, dass außer Nara niemand fröhlich aussah. Anfangs sagte ich mir, dass sie einen stärkeren Mann schwerlich hätte finden können, Tsoboos Familie reich ist, und so soll es sein, aber Freude verspürte auch ich keine.
    Wahrscheinlich ahnten wir alle, dass das Feuer, von dem Naras Wangen glühten, als sie jedes Stückchen seiner Hände
abküsste, und das feine Lächeln, das sich auf Dschargals Gesicht abzeichnete, nicht zusammenpassten.
    Es war aber weit schlimmer.
    Nara hörte auf, mit dem Mittagessen zu Dschargal zu reiten, und brach stattdessen gleich am Morgen mit den Männern auf und kehrte erst am Abend heim. Sie nahm sich irgendetwas zum Flicken, zum Nähen, mit, damit Mama nicht so ein Theater machte, aber Ratschläge erteilen ließ sie sich nicht, und niemand konnte sie aufhalten. Später ritt sie einfach nur so mit. Sie hatte struppiges Haar, und ihre Wangen waren hohl, nur ihr Blick wurde immer ausdrucksvoller.
    So zog sie jeden Morgen wie eine Wahnsinnige den Männern nach und kam abends mit Blumen zurück, die sie im Ger aufhängte. Hochzeitsblumen, sagte sie. Ich, Ojuna und Mama rissen am nächsten Tag die verwelkten wieder herunter, aber abends traf sie mit immer neuen ein und beachtete uns gar nicht.
    Man sagt, wilde Frauen, die ihre Familien verlassen und zwischen den Felsen mit den Wölfen schmausen, könnten mit ihren Augen töten.
    Frauen, die von solch einem Blick geschlagen wurden, während sie etwa gerade zwischen den Felsen nach einem verirrten Zicklein suchen, gehen von dort heim, und es wird ihnen nie mehr das Köpfchen eines Kindes zwischen den Beinen hervorgucken. Es gibt nichts, was ihnen helfen kann. Frauen, die ein zweites Mal vom Blick einer Wahnsinnigen geschlagen wurden, gehen heim und finden im Ger ihre Kinder krank, von Krämpfen geplagt vor. Es gibt nichts, was ihnen helfen kann. Eine Frau, die nicht auf der Hut ist und der das zum dritten Mal passiert, stirbt. Aus Nara wurde eine Wahnsinnige.

    Dschargal begann ihr auszuweichen, was in

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