Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
Vom Netzwerk:
Otschir geendet hatte, und stellte die Tasche mit den Einkäufen auf den Boden. Otschir sagte, ich könne mir ruhig auch diese Einkäufe nehmen, und aus den Augenwinkeln sah ich in einer Ecke des Zimmers meine gepackten zwei Bündel wie dicke bauchige Geschöpfe.
    Ich war binnen fünf Minuten draußen und warf mich auf eine Bank, und ich konnte nicht anders, als brüllen wie ein Stier, heulen wie ein verprügeltes dummes Kind, weil ich nichts anderes war. Wie ich so dasaß, schlüpfte ich nur aus den Schuhen, streckte mich aus und deckte mich mit etwas
zu. Es war viel zu spät, nach so langer Zeit jetzt zu Mama zu gehen, und es war glücklicherweise eine laue Nacht, kein Wind wehte. Ich hielt es nicht aus, und jedes Mal, wenn ich erwachte, erhob ich mich und bog den Kopf zurück. Die Sterne verblassten schon, und in Otschirs Fenster war immer noch Licht.

· 3 ·
    WÜRDE MICH JEMAND fragen, wann in meinem Leben ich am glücklichsten war, würde ich ihm sagen, als die Kinder klein waren und Mergen aus meinem Leben verschwand. Trotzdem bereute ich meinen Entschluss viele Male. Mit einem Mann zusammenzuwohnen, zu wissen, was jede seiner kleinsten Bewegungen bedeutet, auf ein Nicken hin das Essen aufzutragen und auf ein anderes hin die Kinder beruhigen zu laufen, ihm die Bastschuhe auszubessern und bis ins Morgengrauen an seinem Krankenbett zu wachen, jede seiner Falten zu kennen und zu beobachten, wie sie sich zu kleinen Fächern vermehren, und während der ganzen Zeit zu wissen, dass meine Füße am liebsten zornig wegliefen, meine Lider von verbotenen Träumen zucken und die Berührungen meines Mannes für mich nur wie jedes neu hinzukommende Jahr qualvoll und unausweichlich sind, diesem Mann so Kinder zu gebären, das war in meinem Leben von allem das Traurigste. Und dennoch war es vielleicht mein großes Glück.

    Mergen wartete tagelang und nächtelang bei Schartsetseg in der Stadt auf mich. Mein Kopf war kurz vorm Zerspringen. Ich sattelte das Pferd ab, bereitete mir für unterwegs Essen zu, und dann scharrte das Tier mit dem Huf, und meine Hände verloren jede Kraft. Meine Füße wurden schwach, und alles
wieder zurück. Den Sattel auf das Regal, die Chuuschuur aus dem Sack heraus. Das wiederholte sich viermal so.
    Als es dämmerte und das Pferd von den endlosen Vorbereitungen langsam unruhig wurde, sagte ich mir, Alta, der Morgen ist weiser als der Abend.
    Mein Entschluss war unumstößlich.
    Ich schlief ein und drückte die Lippen auf das kleine gerahmte Bild. Er hatte es mir gegeben, als ich einmal, die Finger in seine gekrallt, nicht wollte, dass er von mir fortritt. Mergen stand auf dem Foto mit einem Gewehr da, mit geschwellter Brust wie ein Heerführer des Khans. Er sagte, er hätte, kurz bevor es blitzte, vier Wölfe erlegt. Auf dem Foto sieht man sie aber nicht. Der hölzerne Rahmen dieses Bildes quälte mich die ganze Nacht, ich wälzte mich hin und her, und er drückte ein rotes Viereck in meinen Rücken. Gegen Morgen hörte ich auf, mir sicher zu sein.
    Ich erwachte, und mein Körper war wie aus Holz. Unmöglich, Hände und Zehen zu bewegen. Ich konnte nicht aufstehen, geschweige denn neuerlich das Pferd satteln. Ich lag einen Tag und eine Nacht wie ein auf den Boden geworfenes formloses Stück Fleisch im Ger und erwachte am nächsten Morgen mit Fieber. Zu reiten war unmöglich, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich fühlte mich wohler.
    Nach einigen Wochen kehrte Tuuleg zurück. Ich musste nicht mehr den Blick senken, ich war wieder rein. Ich empfand großes Glück. Tuuleg tat ich später nie wieder so etwas an. Aber seine Handflächen erinnerten mich nie mehr an die geschnitzten Schalen in den Tempeln, und seine Küsse konnte ich nie mehr anders empfinden als wie das Zupicken eines Vogelschnabels, der sich nimmt, was ihm zusteht. Ich bemühte mich, umso ordentlicher zu sein.

    Unser Ger war peinlich sauber, keine verschütteten Reiskörner, noch auf dem Boden herumliegende Schafsknöchelchen, wie es manchmal vorkommt. Als Ojuna geboren wurde, führte sich Tuuleg ein paar Wochen lang wieder auf wie in alten Zeiten.
    Nur wegen Magi hatte ich ihn vorher so närrisch gesehen.
    Wenn er sich Ojuna auf die Schulter setzte und sich von ihr an den Haaren ziehen ließ und nach ihren Fingern schnappte, damit sie jauchzte, hätte ich für Mergen nicht einmal einen kaputten Schneeschuh gegeben.
    Mergen war still aus meinem Leben gegangen, und mir blieb für immer die Scham in mir.
    Von Zeit zu Zeit bitte ich

Weitere Kostenlose Bücher