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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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und die Kinder schossen in die Höhe.
    Dzaja denkt, ich hätte mir bei uns im Ger mein kleines Glück gefangen, und sie, die mehr wollte, hätte was auf die Finger gekriegt.
    Zahllose Male ertappte ich sie, wie sie mich und Najma beobachtete und wie im Ger alles gut lief. Wenn die Kinder nicht kreischten und wir alle unsere Schalen mit dem Chuurag zwischen die Schenkel geklemmt hatten, nahm ich diesen Blick mehrmals wahr. Zula rief ihr etwas zu, Dzaja überhörte es, und von ihrem starr weggestreckten Löffel tropfte das Fett.
Wie eine Statue, lachte mein Mann. Ich fuhr sie an, und Dzaja schüttelte sich wie ein nasser Hund.
    Sie hätte hierbleiben können, niemand hatte sie weggejagt.
    Ich war noch ein Kind, als sie den Roten Bergen den Rücken kehrte, und besondere Innigkeit herrschte zwischen uns nie. Ich hatte kein Mitleid, aber Mama muss es nahegegangen sein. Zum damaligen Zeitpunkt schon die älteste Tochter und auf und davon, kaum dass sie die Schultasche abgelegt hatte. Und keine Dankbarkeit, kein Danke und von Rückkehr keine Rede.
    Mama hat wissen müssen, dass sie nicht fuhr, um etwas dazuzulernen, sondern im Sinn hatte, sich loszulösen, ihr eigenes Ger von sich abzuhacken. Für mich wäre das gewesen, als würden mir die Eingeweide bei lebendigem Leib herausgerissen, für sie jedoch war es ein Traum. Das waren ihre Worte. Ein Traum.
    Und weg war sie.
    Ich habe mich seit jeher bemüht, meinen Mädeln die richtigen Träume einzubläuen. Batdschars Träume sind klar. Zum Reichsten in der Gegend werden kann er wirklich, auch wenn es zig Jahre dauern wird, er ist hart zu sich, und eine schöne Frau, das ist dann auch drin. Aber die Träume der jungen Mädchen sind trügerisch. Ist eine schön, hat sie gleich die Nase oben und bildet sich ein, dass wer weiß wer auf sie wartet, angeln kann sie sich aber nur einen einzigen guten Mann. Will sie mehr, verdirbt sie sich den Ruf, will sie einen besseren, teilen inzwischen die anderen Frauen die Burschen untereinander auf, die Jugend ist dahin, und dann ist selbst ein armer Saufbold gut genug.
    Oder ewig mit jemandem herumziehen.

    Churda war so ein Weibsbild für jeden, und jetzt hat sie das zweite Kind mit dem Kombinatssekretär, und sie wirken ganz zufrieden. Aber das gelingt kaum einer. Dzaja hätte nirgendwohin fahren sollen.
    Mama hätte es Schartsetseg ausreden müssen.
    Aber wenn Papa sich nicht hinter sie stellte, musste Schartsetseg nur ein wenig energischer auftreten, und Mama hat nachgegeben. Und welcher Vater würde sich für einen Erliiz herumschlagen?
    Und genau das ist es, womit Dzaja sich ganz bestimmt verhätschelt. Wäre sie kein Bastard, wäre alles anders, denkt sie sich. Sich bedauern, das konnte sie, soweit ich zurückdenken kann, immer. Mir bot niemand Hundefleisch an, mich schickte niemand mit Schimpfnamen Richtung Süden hinter die Große Mauer, andererseits hat niemand Dzaja an die Gerschwelle hämmern lassen, in eisiger Kälte, wenn sogar der Atem klingelte und die Zehen auch in den wärmsten Schuhen im Nu weiß waren. Wäre Papa damals nicht aus irgendwelchen Gründen früher von der Herde heimgekommen, mich würde es heute nicht mehr geben. Ich konnte vielleicht drei Jahre alt gewesen sein, meine Wangen waren von den gefrorenen Tränen wie aus Glas, und der angesabberte Deel war mit kleinen Eiszapfen bedeckt. Ich trat gegen die Schwelle und trommelte mit den Fäusten an die Holztür. Vom schwachen Trommeln tönten die kleinen Fäuste in den Schafspelzhandschuhen, eigentlich tippten sie nur aufs Holz, ich war mit meinen Kräften am Ende, und drinnen lachte Dzaja laut.
    Sie hatte mit Nara allein sein wollen, für mich draußen im Freien war das aber eine viel zu lange Zeit. Gemeine Ziegen.
    Meine Schwestern flößten mir meine ganze Kindheit lang Angst ein. Zwar mussten Dzaja und Nara in der Schule jahrelang
Spott einstecken, verstanden es aber gemeinsam, jene, die sich mit ihnen anlegten, auch ganz schön zu piesacken. Im Vergleich mit mir waren sie groß und stark. Ich konnte nur nach Mama rufen, und Dzaja und Nara waren schlau genug, um zu wissen, dass meine Schreie durch unsere herrliche Steppe nicht allzu weit dringen konnten.
    Ich war nicht dabei, aber Sandscha, meine seinerzeitige Freundin im Chuuchdijn Tsetserleg, hatte es von ihrer älteren Schwester, die es mit eigenen Augen gesehen hat. Ein Junge, der Dzaja beleidigende Briefe schrieb und nicht mit Nara zusammen ein Lehrbuch benützen wollte, wenn die Lehrerin die zwei Mädchen

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