Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
Vom Netzwerk:
den Mädchen jedes Mal schöne Geschenke mit, nahm sie aber nur selten auf die Knie, und wenn sie mit Spielen zu ihr kamen, spielte sie nicht mit ihnen, höchstens dass sie sie foppte. Viel hatten sie nicht von ihr. Auch nicht von Dolgorma.
    Auch zwischen uns gibt es einen Riss. Ich aber kann aus meinen Erinnerungen leicht eine Brücke aus Worten flechten
und ihr sämtliche Vorfälle einen nach dem anderen schön heruntersagen. Auf meine Worte ist Verlass. Als mich der wilde Hund biss, als ich ihretwegen viermal beinahe erfror, wie ich durch den Nebel irrte, bevor ich Mamas Rufe hörte, wie mir mein Essen weggegessen wurde und mich das verzerrte Gesicht meiner Schwester wie ein Kobold aus dem Schatten angrinste. Die Dinge, die mir meine Schwester angetan hat, verstopfen meinen Kopf wie dichter Schlamm. Ich beachte sie nicht, die Probleme von früher verursachen nur Verdruss. Meine Schwester hat auch ihre Gründe, warum sie Nara das ganze Leben lang mochte, mir jedoch in den Kragen rotzte.
    Aber ich kann Geschichten erzählen und sie nicht.
    Böses enthalten diese Geschichten, ich hingegen tat Dzaja nie etwas an. An mir kann sie keinen Makel finden. Diese Ohrringe und der Ring gehörten mir. Ich habe mich um Mama gekümmert, ich habe mit ihr das ganze Leben verbracht, und somit waren sie mein Eigentum. Sie glaubt vielleicht, ich wäre geizig, doch sind wir ja nicht einmal von dem gleichen Blut und waren über Jahre hinweg füreinander gestorben. Bloß keine barmherzigen Lügen. Sie hat keinen Ort, wohin sie gehen könnte. Und daher hockt sie hier.
    Schäumen könnte man beim Anblick ihrer geduckten stillen Gestalt, sie wird unser Ger für immer ausfüllen. Najma hat gesagt, Dzaja kehrt nie mehr in die Stadt zurück.
    Najma irrt sich nicht in den Menschen.

· 5 ·
    MANCHMAL KOMMT MIR der Gedanke, es gäbe außer mir kein anderes lebendes Wesen auf der Welt. Immer wenn ich lange eingesperrt bin und die Tage grau sind und sich fast nicht von der Nacht unterscheiden. Sie glänzen nur matt wie helle Schuppen auf einem langen, dunklen Schlangenkörper. Es kommt mir immer häufiger so vor. Ich sitze in der Wohnung, die mir Dzaja überlassen hat, und alles hier erinnert mich an sie. Das Linoleum, das längs der Küchenzeile weiß abgetreten ist, die kleine Lampe, die einen Sprung hat, seit wir uns einmal stritten, das Radio, von dem sie stets sagte, sie ließe es reparieren, und das jetzt schon so krächzt, dass man fast nichts verstehen kann. Ich gehe aus der Küche ins Schlafzimmer und wieder zurück und kann mich nicht erinnern. Was wollte ich tun?
    Die Küche ist voll knirschender Krümel, und mit dem Kopf stoße ich immer wieder an den Fliegenfänger voll toter Körper. Ich kann diese Fliegen stundenlang beobachten. Sie schlagen mit den Flügeln und reiben sich wie toll die Beinchen, bevor sie krepieren. Auf dem Herd trockne ich schon zwei Tage lang einen Rinderchuurag. Ich habe mir Mayonnaise gekauft und zum Nachtisch mit Nougat gefülltes Gebäck, aber immer wenn ich den Deckel hebe, um mir ein paar Löffel auf den Teller zu geben, wird mir übel. Ich sollte etwas essen, kann
aber schon drei Tage nichts hinunterbekommen. Was könnte es gewesen sein?
    Diese Wohnung ist sehr laut. Das hatte ich schon Dzaja gesagt. Seit der Zeit, als sich die Baldans aus der Nachbarwohnung in den Kopf setzten, vier Bälger würden ihnen nicht genügen, und sich Zwillinge anschafften und dazu einen neuen Hund, ist es nicht zum Aushalten. Die Wände sind dünn wie Geschenkpapier und im Schlafzimmer auch so gemustert. Ich mag diese Wände nicht, auf denen riesige orangerote Blumen blühen. Sie stellen ihre rötlichen Blumenblätter zur Schau wie schamlose Dirnen und kriechen in meine Träume. Über dem Bett habe ich ein Plakat mit Rennpferden angebracht, um vor dem Einschlafen ins Grüne zu schauen. Einschlafen kann ich aber trotzdem nicht.
    Wie oft werde ich heute noch durch die Tür in die Küche gehen, um dann wieder in diese geblümte Folterkammer zurückzukehren? Dreißig Mal?
    Bald wird der Horizont rosige Ränder bekommen, in einer Ecke verblasst er schon jetzt, und die Straße beginnt dann unvermittelt von Autos zu brummen. Wieder wird keine Ruhe sein. Bestimmt plärrt eines der Baldankinder los, und wenn nicht, fängt der Hund zu bellen an.
    Diese Wohnung ist verflucht. So viele Erinnerungen, vor denen man sich nicht verstecken kann.
    Von dem versilberten Teller hat mir Dzaja erzählt. Es war die erste Arbeit, die ihr Goldene Blume

Weitere Kostenlose Bücher