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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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Anhängsel. Ein einziger Blick von ihr reichte, und mein Mund wuchs schlagartig zu.
    So etwas sagt mir mein Gefühl. Es lohnt sich ja nicht zu fragen. Auch bei Mama fehlte mir die Courage dafür. Ich fragte sie nicht. Nach heiklen Dingen sowieso nicht. Und dabei lässt sich wohl schwerlich eine größere Frechheit ausdenken, die sich eine Frau ihrem Gatten gegenüber erlaubt, als dass sie ihren Mann um Bastarde herumtanzen lässt. Das nahm sich Mama mit in den Tod.
    Ich dachte, das Sterben wäre nicht so.
    Papa schlief ohne den kleinsten Abschied ein, und Mama ging die Gallenblase kaputt. Sie starb zusammengekauert auf dem Rücksitz von Najmas Jeep. Ich saß vorne neben ihm und schaffte es nicht einmal, ihr die Hand zu drücken. Das Leben flog von ihr davon wie ein Pfeil von einer Bogensehne. Schnell und geräuschlos. Wo fiel er wohl hin? In welchen Schoß bohrte er sich? Um welches Ger herum tappt ein Kind, das einmal die Großmutter meiner Kinder war?
    Dzaja ist seltsam. Als die Rede auf Mama kam und dass sie schon fort ist, wandte sie nur das Gesicht ab. Allerdings war da niemand, vor dem sie den Blick verbergen musste. Mama haben längst die wilden Tiere zerrissen, und von Tränen gab es in Dzajas Augen nicht die geringste Spur. Sie schlug nicht einmal die Hände zusammen. Erliiz, Bastarde, schämen sich für ihre Mutter. Ein bisschen muss das wohl so sein. Welche Erklärung gäbe es sonst?
    Dzaja suchte sofort nach Mamas Ohrringen und wohin ihr schwarzer Silberring gekommen wäre. Ich konnte ihr diesen Ring nicht vom geschwollenen Finger ziehen, gab ich zurück,
wollte stattdessen aber sagen, dass ich ihre Finger gar nicht zu fassen bekam und auch nicht ihre warmen Gelenke küssen konnte.
    Verdammter Rücksitz.
    Najma war direkt über das Geröll gefahren, und Mama hüpfte bis zum Ende auf und ab. Sogar, als bereits kein Leben mehr in ihrem Körper war, hopste sie wie verrückt. Alle ihre Worte, die ihr auf der Zunge lagen, nahm sie mit sich. Den Silberring gab ich Dzaja nicht, auch nicht die Ohrringe. Ich bin Mutter zweier Töchter, und jeder soll etwas von Mama bleiben. Dzaja hat sich ohnehin genug aus Mamas Schachteln genommen.
    Ich zeigte ihr ihren Platz. Sie verstaute ihre Sachen auf den Regalen. Sie murmelte vor sich hin. Sie kam zu mir, und ich hätte sie am liebsten hinausgeworfen. Ich bin acht Jahre jünger, und dennoch hätte es mir niemand verübeln können, hätte ich es getan.
    Als Mama starb, waren nur das Brummen des Motors und das Rumpeln der Schachteln zu hören, die Najma aus dem Kofferraum herauszunehmen vergessen hatte. Ich stellte mir das Sterben mit den Eltern immer anders vor. So wie mit Großmutter Dolgorma. Diese Würde, diese Trauer, die uns einige Wochen lang wie schwarzes Wasser überschwemmte. Ich war noch klein und habe unter dem Tisch einen Löffel gegen Mamas Stiefelschäfte klirren lassen, aber gespürt habe ich es auch. Es pfiff unter dem Tisch, und ein Tischbein knarrte leicht. Mama wischte sich die Tränen um Großmutter schnell am Ärmel ab, das ganze Ger war angeblich erfüllt von feierlicher Ergriffenheit. Bei Mama und Papa gab es nichts dergleichen. Wir gewöhnten uns schnell.

    Das erste Abendessen, nachdem Dzaja zu uns gezogen war, werde ich nicht vergessen. Sie lobte lautstark den angebrannten Chuurag und zwickte Zula und Tsetsegma in den Arm. Sie guckten einander an und verdrehten die Augen.
    Dzaja sagte, Tsetsegma wäre der ganze Najma und ob ich mir vielleicht die Wangen in heißer Ziegenmilch bade, weil sie so glänzten.
    Von Zula sagte sie, die Männer müssten sich ihretwegen sicher zerreißen, einzig Najma ließ sie in Ruhe.
    Wir beschäftigten uns mit unseren Schalen, und ein regelmäßiges Klappern war das Einzige, was die feindselige Stille unterbrach. Viel Schönheit war Zula wirklich nicht in die Wiege gelegt worden, solche Worte verdient sie sich aber nicht. Dzaja und ich empfanden nie besondere Vorliebe füreinander.
    Wenn Dzaja mit Dolgorma hier war, passte sie auf wie ein Luchs, weil Dolgorma sich ständig über die Mädchen beklagte und meine Schwester ihr alles glaubte. Sowie sie sich näherte, stürmte Dolgorma vor das Ger und begann zu plärren. Sie tat, als hätten sie sie gestoßen. Meistens war es gelogen.
    Dzaja tobte, rief Zula zu sich, und am Ende stritten wir miteinander, während die Mädchen schon wieder zwischen dem Argal herumtollten.
    Dzaja blieb für Tsetsegma und Zula die Tante aus der Stadt, ob ihr das passte oder nicht. Sie brachte

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