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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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los.
    Später war ich dann noch einmal eines Babys wegen bei Chiroko. Es war im Handumdrehen erledigt. Nicht einmal übernachten musste ich bei ihr.
    Damals jedoch, beim ersten Mal, hatte ich schon einen Bauch, gewölbt wie bei aufgeblähten Rindern. Das Kind hielt sich in ihm mit Zähnen und Klauen fest. Ich war herumgehüpft, hatte Latwergen getrunken, mit Steinen gegen meinen Bauch gedroschen und mit einem Löffel zwischen den Beinen herumgestochert. Nichts. Diesem Kind war es beschieden, Chirokos große behaarte Pranken auf sich zu spüren.
    Es war winzig, überlebte aber. Ins Krankenhaus wollte ich nicht.
    Wir wärmten es in einem Karton. Niemand anderer war dabei, und ich verspürte keine Lust mehr, ihm das Leben zu nehmen. Es hing ohnehin an einem seidenen Faden, und mehrmals war es so blau und kalt, dass ich nicht mehr glaubte es durchzubringen. Ich wünschte mir, es solle nicht den Geist aufgeben, aber dazu, seine Mama zu spielen, fühlte ich mich auch nicht fähig. Wir wechselten uns Tag und Nacht bei ihm ab, damit es keinen Moment alleine wäre. Wir gaben ihm mehrere Namen. Wenn Chiroko einen länger benutzte, dachte ich mir einen anderen aus. Es durfte mit keinem verwachsen. Es gehörte niemandem.
    Dieses rotblonde Baby endete schließlich ohnehin in unserem
Somon. Die Roten Berge lassen sich ihre Söhne nicht nehmen. Ich bin es aber nicht, den dieser Junge Mama nennt. Sie heißt Bordschi, sie konnte kein eigenes Kind bekommen, und alles verlief unter Stillschweigen.
    Die Wochen mit dem Kleinen sind irgendwo in mir bewahrt. Wenn ich ihm den Finger gab, packte er ihn. Wenn ich ihm die Brust gab, trank er. Wenn er weinte, unternahm ich alles, damit er aufhörte. Dann ging ich fort, weil diese Frau, seine neue Mama, aus dem Somon kommen sollte. Am Abend war der Karton leer, und am nächsten Tag kehrte ich ins Diwaadschin zurück. Es war schnell gegangen, und ich glaube nicht, dass ich dieses Kind heute überhaupt erkennen würde. Nur sein Schreien blieb in meinen Ohren. Als ich aber von Chiroko zurückgekommen war, bin ich nachts hochgeschreckt vor Sorge, ob jemand die Schachtel bewachte. Es war eine Erleichterung, dass keine da war.

    Ich bin kein böses Weib, eine Uuregma, die Ungeborenen ans Leder geht, aber ich blicke aufs Leben wie ein Aeroflotpilot auf unsere Hauptstadt. Mama würde sagen, wie ein Adler auf die von Mäusen wimmelnde Steppe, wie ein Mädchen auf seine bestickten Ärmel, wie man auf dem Land sagt. Nur so kann man Gut und Böse unterscheiden. Ich bin nicht zartfühlend, aber auch keine Frau mit einem Herz aus Stein.
    Ich weiß nur, dass die Dinge richtig oder falsch sind - ohne Rücksicht auf die Tränen einer Frau.
    Ich weiß, dass Dzaja weinte, als ihr der Bauch wuchs und es nichts gab, wohin sie gehen konnte. Auch wenn sie sich das Kind aus ihrem Schoß hätte kratzen lassen, hätte sie geweint, daran zweifle ich nicht. Aber es wäre richtiger gewesen.
    Ojuna zum Beispiel wird das nie verstehen können. Dieses
Frauenzimmer heiratete den ersten Trottel, der ein Auge auf sie warf, und wären ihre Genitalien nicht vorzeitig verkümmert, und wäre ihr nicht das Monatsblut versiegt, sie hätte ein Kind nach dem anderen in die Welt gesetzt. Die folgsamste Tochter ihrer Mutter. Ordentlich wie ein gekehrtes Ger, wie zu Säulchen aufgeschichteter Argal. Unsere kleine Ojuna. Ihre Ojuna. Die Ojuna Altas und Tuulegs. Des Typs, der zwei säte, vier versorgte und eine erntete. Des Typs, über den in der Umgebung getuschelt wurde.
    Wenn er Dzaja und mich mit Mama von der Schule abholen kam, bemerkte ich die Blicke der Kerle, anderer Familienväter, die Tuuleg für einen Deppen hielten.
    Die eine eine Mandarin und die andere eine Natascha, deren Haut sich in der Sonne rötete.
    Mama hat es verstanden, für ihre Erliiz einen Stiefvater zu finden, das muss man ihr lassen. Diesen Fels mit ihr zu tragen, wäre kaum einer bereit gewesen.
    Papa war still wie ein Flussufer, wie eine Hauptstraße, ehe am Morgen die Stadt erwacht. Aber auch hart, wenn es darauf ankam. Den Namen Dolgorma hätte er keinem Kind seiner Erliiztöchter gegeben. Dzaja sagte, ihrer Meinung nach hätte Vater immer Magi und Ojuna am liebsten gehabt. Magi ja, aber Ojuna? Wer hätte seiner Frau getraut, wenn sie schon zweimal fremdgegangen war? Bis ans Ende seiner Tage schaute er in die Augen seiner Jüngsten und war sich nicht sicher. Von mir. Ein Bastard. Von mir. Ein Bastard.
    Das muss ihm im Kopf herumgegangen sein.

    Am meisten

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