Kurzschluss
der Plastikflasche bis zur Angelschnur.«
Häberle wurde hellhörig.
*
Dass man Büttners schwarzen Geländewagen der Marke Ford Kuga in einem Parkhaus beim Bahnhof Plochingen entdeckt hatte, war für die Sonderkommission wenigstens ein kleines Erfolgserlebnis. Doch die fieberhafte Suche nach Silke Rothfuß brachte dies nicht weiter. Das Fahrzeug, so hatte es die zuständige Polizeidirektion Esslingen gemeldet, sei ordnungsgemäß verschlossen und weise keinerlei Aufbruchspuren auf. Auch im Innern sei, soweit man dies überblicken könne, nichts Verdächtiges zu erkennen. Die Sonderkommission, die ab diesem Freitagvormittag während Häberles Abwesenheit von dem designierten neuen Chef der Kriminalpolizei der nahen Kreisstadt Göppingen, Thomas Kurz, geleitet wurde, schickte ein fünfköpfiges Team nach Plochingen, dem Eisenbahnknotenpunkt zwischen der Strecke Ulm–Stuttgart und der Verbindung nach Tübingen.
Linkohr, der ein paar Minuten verspätet eintraf, weil er sich von seiner neuen Freundin nicht hatte trennen können, hatte bereits ein ausführliches Telefonat mit Häberle geführt und dessen Erkenntnisse stichwortartig in die Protokolldatei eingetippt.
»Leute«, sagte der neue Kripo-Chef, der sein Amt offiziell erst zum 1. Juli antreten würde, ruhig und besonnen. »Unser vorrangigstes Ziel ist die Fahndung nach Frau Rothfuß. Sie ist seit fast zwei Tagen verschwunden.«
Um das zu sagen, hätte er nicht nach Geislingen zu fahren brauchen, dachte Linkohr, musste sich aber eingestehen, dass der Neue – ein Mittfünfziger mit langjähriger Erfahrung bei Landeskriminalamt und Verfassungsschutz – durchaus ein Häberle-Typ war, also einer, der offenbar Land und Leute kannte.
»Zwei Tage ohne Lebenszeichen«, wiederholte Kurz. »Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass die Chance, sie lebend zu finden, mit jedem Tag sinkt. Sollte sie der Täter irgendwo eingesperrt haben, worauf diese komische Hütte hindeuten dürfte, dann kann man nur hoffen, dass sie genügend Nahrungsmittel und Wasser hat.«
Dies alles, so überlegte Linkohr, hätte Kurz wirklich nicht zu sagen brauchen. Sie alle verfolgten seit gestern früh jede noch so kleine Spur. Doch obwohl Zeitungen und regionale Fernsehsender das Foto der Frau veröffentlicht hatten, gab es verschwindend wenige Hinweise – und auch diese führten zu nichts. Sogar ihr auffällig gelbes Fahrzeug war wie vom Erdboden verschluckt. Die Kriminalisten sahen sich betreten an.
Erst als ein älterer Kollege an der offenen Tür erschien, war die peinliche Situation gerettet. »Was is’n hier los?«, fragte er augenzwinkernd. »Wohl eine Schweigeminute oder was?«
Kurz spürte, dass sein Einstieg zur falschen Zeit stattgefunden hatte.
»Entschuldigung«, fuhr der Ältere fort und sah in die Runde, »aber ich befürchte, ich muss eure Stimmung noch mehr dämpfen. Anruf der Kollegen aus Dillingen. An einem Kraftwerksrechen bei Lauingen an der Donau hat man Frauenkleider gesichtet.« Alle Augen waren auf ihn gerichtet. »Und so, wie die Kleider beschrieben werden«, fuhr er mit belegter Stimme fort, »handelt es sich um die von Frau Rothfuß.«
*
Sander und seine Partnerin waren an diesem Freitagmorgen wieder frühzeitig wach geworden. Sie hatten das Gefühl für die Zeit völlig verloren. Seit die Nacht keine Nacht mehr war, sondern nur ein Tagesabschnitt, in dem es maximal für zweieinhalb Stunden einigermaßen dämmerig wurde, taten sie sich mit dem Schlafen schwer. Nach ihrem gestrigen Aufenthalt am Geirangerfjord hatten sie wieder südlichen Kurs eingeschlagen. Angesichts der enormen Entfernungen und des engen Zeitkorsetts, das ihnen zur Verfügung stand, waren sie sich einig gewesen, auf Alesund und Kristiansund zu verzichten. Auch die angeblich weltberühmte Trollstigen, jene abenteuerliche Passstraße mit ihren elf engen Kurven, fiel dem neuen Zeitplan zum Opfer. Immerhin waren sie jetzt genau eine Woche unterwegs. Und Sander spürte die innere Anspannung, die ihm jegliche Urlaubsfreude nahm.
Bei der Abfahrt in Geiranger hatte er vorsichtig zum Toilettenhaus hinüber geschielt, doch da war niemand mehr gewesen, der ihm aufgefallen war. Er hatte das Wohnmobil aus dem Campingplatz hinausgesteuert, vorbei an den wenigen Häusern von Geiranger und wieder steil hinauf in jene Gebirgslandschaft, über die sie tags zuvor gekommen waren. Doch diesmal wirkte die Landschaft grau. Der Regen peitschte gegen das Fahrzeug und die Schneeflächen verloren
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