Kurzschluss
authentische reißerische Story ein paar Mille auf den Tisch blättern.«
»Herr Mariotti hätte dies also tun können, wenn ich Sie richtig verstehe«, blieb Häberle hartnäckig.
»Ich glaube nicht, dass Sie Mariottis Mörder hier finden werden«, äußerte Feuerstein überheblich. »Herr Mariotti hat nicht immer den feinsten Umgang gepflegt, um es vorsichtig auszudrücken. Wir, also das Management, waren davon nicht sehr angetan.«
»Vielleicht könnten Sie mir dies etwas näher erklären.«
»Happy-Hour-House«, erwiderte Feuerstein gefährlich leise. »Exklusiv. Sehr exklusiv, aber gefährlich, wie man sagt.«
»Happy-Hour-House?«, wiederholte der Chefermittler, wohl ahnend, was damit gemeint sein könnte.
»Ein Edelbordell. Gehen Sie mal hin.« Wieder das Grinsen. »Wenn Sie ein bisschen Glück haben, treffen Sie viele wichtige Herrschaften. Manches Gesicht kennen Sie vielleicht, aus dem Fernsehen.«
*
Das Wohnmobil mit dem HZ-Kennzeichen war Sander sofort aufgefallen. Das Kennzeichen war ihm nicht geläufig gewesen, weshalb er sich bei der Rückkehr von der Wanderung zum Nigardsbreen-Gletscher zum Zulassungsstempel hinunter gebeugt hatte. Harz-Kreis, stand da zu lesen. Sicher eine Neuschöpfung der letzten Zeit, als in den neuen Bundesländern mit der Verwaltungsreform verschiedene Landkreise zusammengelegt worden waren.
Er hatte seine Mini-Videokassette in der Hosentasche bei sich getragen. Jetzt, zum Wohnmobil zurückgekehrt, verstaute er sie wieder unter dem Bettrost über der Fahrerkabine.
Die Gletscherzunge, an der sie waren, hatte gewaltige Ausmaße und ließ erahnen, welche ungeheuren Kräfte auf den Untergrund einwirkten und wie bei der unablässigen Talwanderung der Eismassen im Laufe von Jahrtausenden ganze Täler ausgeschliffen werden konnten, wenn Geröllmassen vorwärts geschoben wurden. Millimeter um Millimeter, aber eben unendliche Zeiten lang. Wenn Sander sich damit befasste, kamen ihm jedes Mal Zweifel auf, ob die Geologen mit ihren Theorien recht hatten. Aber vermutlich vermochte sich das menschliche Gehirn einfach nicht diese Zeitdimensionen vorzustellen.
Allein schon die Zufahrt ins Ende des Tales war bemerkenswert gewesen. Weil der Weg mautpflichtig ist, jedoch kein Kassierer am Eingang sitzt, wird der Geldbetrag im Selbstbedienungsverfahren entrichtet: Man steckt das Geld in ein bereitliegendes Tütchen, notiert darauf das Autokennzeichen und reißt einen nummerierten Schein als Beleg ab. Dieser wird hinter die Windschutzscheibe gelegt, das Tütchen in einen Behälter geworfen. Sander staunte über die Raffinessen der norwegischen Maut, hinter der mancherorts tatsächlich kein System zu erkennen war. Aber das mochte auch an seinem Missfallen liegen, dass er als sparsamer Schwabe solchen Abzock-Methoden nach Raubritterart, wie er es oft zu nennen pflegte, entgegenbrachte.
Doris schwieg, als sie die 40 Kilometer aus dem Tal zurückfuhren. Er spürte eine gewisse Erleichterung, nicht mehr in dieser gigantischen Sackgasse gefangen zu sein.
Aus der Welt aus Stein und Eis zurückgekehrt, empfing sie das frische Grün entlang des Lustrafjords. Während Doris von der Blüten- und Pflanzenpracht schwärmte, die sie hier in diesen nördlichen Breitengraden nicht erwartet hätte, hing Sander ganz anderen Gedanken nach. Wie konnte er Häberle erreichen? Seine Überlegungen drehten sich nur um diese Frage, als sie schweigend nebeneinandersaßen und draußen eine traumhafte Landschaft vorüberzog. In den tiefblauen Wasserflächen, an denen sie vorbeifuhren, spiegelten sich die Berge wie auf den Bildern der Ansichtskarten wider – die Straßen waren vom Feinsten und Tunnelröhren gab es viele. Einmal war sogar tief unterm Berg eine Abzweigung, jetzt endete der Tunnel direkt an einer Fähre, mit der sie am Zusammenfluss von Lærdalsfjord und Ardalsfjord die riesige Wasserfläche überqueren mussten. Während sie auf das Schiff warteten und die Fahrzeugschlange hinter ihnen immer länger wurde, studierten sie ihre weitere Route. Dabei stellte Doris mit Entsetzen fest, dass sie mit der geänderten Strecke durch den längsten Straßentunnel der Welt fahren mussten. 24,5 Kilometer – eine schreckliche Vorstellung angesichts der Bilder von Tunnel-Brandkatastrophen, die sich tief in ihr Bewusstsein gegraben hatten. Doch zu umfahren war der Tunnel nicht mehr, registrierte Sander. Wenig später hatte sie der Lærdalstunnel, wie es auf einem Hinweisschild zu lesen stand, bereits
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