Kurzschluss
etwas verhindern.«
Noch während Feucht über die Bedeutung dieser Worte nachdachte, beendete die Frau das Gespräch: »Dann also besten Dank, Herr Feucht. Wir hören wieder voneinander.« Sie wartete keinen Gruß ab und legte auf.
Er hielt das stumme Gerät noch für ein paar Sekunden nachdenklich in der Hand. Dass genügend Vorkehrungen getroffen sind, hatte sie gesagt. Vorkehrungen, das konnte viel bedeuten, grübelte er. Eine Vorkehrung in letzter Konsequenz konnte schließlich auch sein, einen Informanten und seine Beweismittel zu beseitigen. Feucht atmete schwer.
22
Häberle gähnte und sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war 9.55 Uhr. Als er gestern den Termin in Ulm ausgemacht hatte, konnte er ja nicht ahnen, dass er sich die Nacht um die Ohren schlagen würde. Aber das Gespräch mit Frau Büttner erschien ihm so wichtig, dass er es nicht verschieben wollte. Am Telefon war sie ziemlich wortkarg und distanziert gewesen; er wusste aus jahrelanger Erfahrung, wie unterschiedlich die Menschen auf den Tod eines Angehörigen reagierten. Allerdings lebte Frau Büttner seit vier Wochen von ihrem Mann getrennt, doch wenn der Hass nicht grenzenlos war, dann konnte auch sie die Nachricht von dem Mord nicht einfach wegstecken.
Als Häberle am Stadtende Gas gab und mit mehr als den erlaubten 60 Stundenkilometer die erste Steigung beim Friedhof erklomm, versuchte er, die Erkenntnisse und Ereignisse der vergangenen Stunden zu ordnen. Ein richtiges Bild allerdings wollte sich daraus nicht zusammensetzen. In seinem Mosaik fehlten noch zu viele Steine, ja, er hatte in der Nacht sogar den Eindruck gewonnen, dass Steine wieder weggenommen und neue Löcher aufgerissen worden waren.
In der lang gezogenen Linkskurve, nach der das Tempo auf 80 Stundenkilometer begrenzt war, was er ohnehin wegen eines vorausfahrenden Sattelzuges nicht erreichte, blickte er durch den dichten Bewuchs rechts hinüber in die Weiherwiesen, wo sie gestern um diese Zeit Büttners Leiche geborgen hatten. Und jetzt, keine 24 Stunden später, war in einem See irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern, 500, 600 Kilometer von hier entfernt, ein Mann auf ähnliche Weise umgebracht worden – ein Mann, zu dem Büttner zweifellos in gewissem Kontakt stand. Von seinem Instinkt getrieben, drückte Häberle am Handy, das in der Halterung am Armaturenbrett steckte, die Kurzwahl für Linkohrs Anschluss. Augenblicke später hatte er den jungen Kollegen bereits am Apparat. »Mir fällt da etwas ein«, sagte der Chefermittler, während ihm der vorausfahrende Lkw an der Steigung oberhalb der Schimmelmühle kräftig Ruß entgegenblies. »Versuchen Sie mal rauszukriegen, was der Herr Mariotti gearbeitet hat, wo er beschäftigt war.«
»Sie denken an Leipzig?«, kam es zurück.
»Richtig erkannt, Herr Kollege, Leipzig und Strombörse. Und wenn Sie schon dabei sind, dann fragen Sie die Kollegen dort oben, wie es in der Wohnung von Mariotti aussieht – in der in Mirow, die nicht abgefackelt worden ist. Computer, Akten und so weiter. Und wie es mit Angehörigen so steht.«
»Okay«, bestätigte Linkohr knapp, »und ich werd den Kollegen sagen, sie sollen aufpassen, dass Mariottis zweite Wohnung nicht auch in Schutt und Asche fällt.«
Häberle lächelte. Sein Assistent dachte mit. Linkohr hatte in den sechs Jahren, seit sie gemeinsam für die großen Fälle zuständig waren, sehr viel gelernt. Er könnte mein Nachfolger werden, überlegte Häberle, und drückte die Austaste.
Dann rief er seine Ehefrau Susanne an, die er heute früh nur kurz gesehen hatte. »Es tut mir leid, dass ich so schnell wieder weg bin«, sagte er ruhig. »Hast du schon gefrühstückt?«
»Ich bin gerade dabei.«
»Es kann wieder spät werden.« Es war ihm ein Bedürfnis, ihr dies zu sagen, aber Susanne war es in den langen Jahren der Ehe längst gewohnt, dass ihr August während großer Fälle meist nur zum Essen und für ein paar Stunden Schlaf heimkam. Die ersten Stunden nach einem Verbrechen waren die entscheidenden, hatte er ihr schon viele Male gesagt. Wenn alle Wunden noch offen waren, wenn alle nervös und aufgeregt umherrannten – die Zeugen, die Angehörigen, die Geschädigten und natürlich der Täter –, dann war die Chance groß, dass irgendjemand von den Beteiligten einen entscheidenden Fehler beging. Denn manche, die glaubten, so cool und abgebrüht wirken zu können, wie man es von den Mördern in den Kriminalfilmen und Kriminalromanen her kannte, die täuschten sich gewaltig.
Weitere Kostenlose Bücher