Kurzschluss
seines Besuches zu erinnern.
Frau Büttner stutzte. »Wie kommen Sie denn da drauf? Dafür hätte er niemals Zeit gehabt. Man hat ihn zwar vor einigen Monaten gefragt, ob er für den Gemeinderat kandidieren würde, aber er hat abgelehnt. Ich glaube, dass ihm keine der Parteien sympathisch gewesen wäre. Wenn wir uns in etwas einig waren, dann in der Einschätzung, dass die Verhältnisse derart verhärtet sind, dass es Augenwischerei wäre, zu glauben, man könnte daran etwas ändern. In der großen Politik wollen alle Steuern senken, jedes Mal vor der Wahl. Nachher wird immer das Gegenteil getan. Oder sie wollen den Bürokratismus abbauen – und es geschieht genau das Gegenteil. Oder sie wollen die Steuererklärung vereinfachen, aber nicht mal das kriegen sie hin.«
»Wenn sich Ihr Mann nur für das Thema Strom interessiert hat«, fasste Häberle zusammen, »dann könnte es doch sein, dass in seinem beruflichen Engagement das Motiv für das Verbrechen liegen könnte.«
»Ich sagte Ihnen bereits, er hat sich da reingekniet. Ich habe eigentlich von den Strukturen, um die es da ging, keine Ahnung.«
»Sie haben also keinerlei Bezug zum Albwerk?«, wollte Häberle wissen.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ja, es könnte doch sein. Es gibt da sicherlich Betriebsfeste oder sonstige Aktivitäten, zu denen auch die Partner eingeladen sind.«
Sie zögerte. »Mein Mann hat Privates und Berufliches getrennt und so handhabe ich das auch hier.« Die Antwort kam für Häberles Gefühl etwas zu schnell.
»Ihr Beruf«, griff er die Bemerkung auf, »dürfte in diesen Zeiten Hochkonjunktur haben. Zeitarbeit boomt, wie man so hört.«
»Wundert Sie das?«, fragte sie erstaunt. »Wer geht in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten noch eine feste Bindung mit einem Arbeitnehmer ein? Sie kriegen nur Ärger, wenn Sie den wieder loswerden möchten. Lesen Sie doch nach, wie derzeit vor den Arbeitsgerichten prozessiert wird. Als Unternehmer haben Sie schneller einen Prozess am Hals, als Ihnen lieb ist. Wir hingegen können die Leute flexibel einsetzen – heute hier, morgen dort.«
Häberles soziales Feingefühl gebot ihm Widerspruch, auch wenn ihm im Moment nicht nach politischer Diskussion zumute war. »Ohne Absicherung«, wandte er ein.
»Was heißt Absicherung, Herr Häberle? Die Leute sollen froh sein, dass sie einen Job haben.«
Der Ermittler hatte mit dieser Argumentation gerechnet. Seit sich die Verhältnisse gewandelt hatten, noch lange vor der globalen Krise und mit dem Zutun der Rot-Grünen, konnte man unter dem Deckmäntelchen des Schaffens von Arbeitsplätzen so ziemlich alles anstellen. Und jetzt wurde diese Entwicklung geradezu atemberaubend beschleunigt, nachdem angeblich einige wild gewordene Banker das kapitalistische System an die Wand gefahren hatten. Jedes Mal, wenn er versuchte, sich in die Situation eines Arbeitnehmers in der freien Wirtschaft einzudenken, überkam ihn ein Schauer. Vielleicht wäre er in seinem Alter längst arbeitslos geworden, oder sie hätten ihn hinausgemobbt. Inzwischen hatten doch auch die Politiker in den Chor jener eingestimmt, die Flexibilität predigten. Nur machte es eben einen Unterschied, ob man Umzug und neue Wohnung bezahlt bekam und diverse Aufwandsentschädigungen erhielt, einschließlich Dienstwagen, oder ob man mit minimalstem Lohn abgespeist wurde und dann noch in Kauf nehmen musste, irgendwo ganz neu anzufangen. Was hatten die, die von Flexibilität sprachen, schon für eine Ahnung, was dies in der Praxis für einen Familienvater bedeuten konnte?
»Der Staat selbst reguliert, was einem Arbeitnehmer zuzumuten ist«, fuhr Frau Büttner fort. »Wir hatten schwarze, rote, grüne und gelbe Koalitionen – da hätte jede Regierung für sich etwas ändern können. Keine hat’s gewollt. Schauen Sie doch in die Arbeitsgerichtsrechtsprechung mal rein, Herr Häberle. Sie werden staunen. Und Sie wissen selbst, dass erlaubt ist, was die Gesetze zulassen.«
Er wollte nicht widersprechen.
»Wenn Sie heute in einem Betrieb arbeiten, der keinem Arbeitgeberverband angehört, dann sind Sie als Arbeitnehmer beschissen dran. So ist das. Ihr Chef braucht sich in vielen Branchen an keine Tarife zu halten – es sei denn, er bezahlt Ihnen zwei Drittel weniger, als der Tarif es vorsähe. Dann können Sie mal dran denken zu prozessieren.« Über ihr Gesicht zuckte ein hämisches Grinsen, was sie nicht sympathisch machte, befand Häberle. »Und ob Sie’s glauben oder nicht, aber es ist Realität
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