Kurzschluss
Pause, die sich für ihn endlos dehnte, kam es unterkühlt zurück: »Ich kann mich entsinnen, ja. Aber erlauben Sie mir den Hinweis, dass der Kontakt nicht gerade angenehm war.«
»Das räume ich gerne ein«, versicherte Feucht langsam und ruhig. »Im Geschäftsleben ist das leider manchmal so.«
»Dann erlauben Sie mir die konkrete Frage, weshalb Sie mich jetzt anrufen?«
Feucht wusste, dass er achtsam sein musste. Diese Frau schien nur darauf aus zu sein, ihm einen Fehler anhängen zu können. Wie eine Schlange, dachte er. Wie eine giftige Schlange, die in ihrem sicheren Versteck lauerte und nur darauf wartete, zuzubeißen. Er versuchte, sich für einen Moment seine Gesprächspartnerin vorzustellen. Mitte 40 vielleicht, Hosenanzug, Nadelstreifen. Kurzer Haarschnitt, kantige Gesichtszüge. Eine Domina hinterm Schreibtisch.
»Nun ja, unser Herr Büttner«, fuhr Feucht fort, »der hat, das wissen wir, einige kritische Fragen gestellt – und kritische Fragen zu stellen, gehört heute zum Alltagsgeschäft.«
»Um mir dies zu sagen, haben Sie mich angerufen? Ich nehme das weder ihm noch Ihnen oder Ihrem Unternehmen übel.« Es klang überheblich. So, als ob sie sagen wolle: Na, Kleiner, lassen wir dich noch ein Weilchen leben.
»Es geht darum …«, beeilte sich Feucht, die Oberhand zu gewinnen, während er bereits spürte, wie er unter seinem Jackett zu schwitzen begann. »Es geht darum …«, wiederholte er, nach Worten ringend. »Um es deutlich zu sagen, es könnte sein, dass sich die Kriminalpolizei mit Ihnen in Verbindung setzt.«
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Sind Sie noch da?«, fragte er nach einer Weile vorsichtig nach.
»Kriminalpolizei, sagten Sie«, kam es forsch zurück. »Wie darf ich das verstehen?«
»Büttner ist tot«, entschied sich Feucht für eine undiplomatisch schnelle Erklärung.
Wieder herrschte diese unerträgliche Stille in der Leitung. Warum sagte sie nichts, warum, verdammt noch mal, konnte sie nicht ein einziges Mal emotional werden?, dachte er.
Endlich eine Resonanz, wenngleich noch kühler, noch distanzierter: »Und warum sagen Sie das mir? Muss uns das etwas angehen?«
Feucht holte tief Luft und stierte aus dem Fenster. Er bemühte sich, genau sounterkühlt zu wirken. »Ich dachte, es macht Sinn, Sie zu informieren, damit nicht unnötig Dissonanzen zwischen unseren Häusern entstehen.« Er glaubte förmlich zu spüren, wie sie jetzt mitleidig vor sich hinlächelte. Was scherte sie als Chefin eines der größten Energiekonzerne der Republik ein solch kleines Unternehmen, irgendwo in der südlichen Provinz, wie Feucht gelegentlich selbst witzeln konnte. Und doch, da war sich Feucht ziemlich sicher, konnte es sie nicht kalt lassen, wenn die Branche – wie und warum auch immer – in das Visier der Staatsanwaltschaft geriet. Hatte Büttners Tod auch nur im Geringsten etwas mit den Verflechtungen der Energiekonzerne zu tun, wäre dies ein gefundenes Fressen für die Medien, die ohnehin nur darauf lauerten, Unregelmäßigkeiten aufzudecken. Wobei das Wort Unregelmäßigkeiten dann möglicherweise nur unvollständig wiedergeben konnte, was hinter den Kulissen geschah, überlegte Feucht, versuchte aber, sich sofort wieder auf das Telefonat zu konzentrieren.
»Ein Haus wie das unsere«, meldete sich die Frauenstimme wieder, »vermag sehr wohl zu unterscheiden zwischen dem, was auf offizieller Ebene eingeleitet wird und dem, was einzelne Mitarbeiter tun. Vergleichen Sie’s mit der Politik: Es gibt Hinterbänkler, die laut rufen, wenn sich die vermeintliche Chance ergibt, endlich mal Gehör zu finden – aber zu entscheiden haben sie trotzdem nichts.«
Feucht legte in Gedanken jedes Wort auf die Goldwaage. Jetzt schwieg er.
»Ich gehe davon aus«, fuhr sie fort, »dass wir uns beide in der Einschätzung einig sind, dass man diesen Fall – oder wie man es sonst bezeichnen kann – auf kleiner Flamme kochen sollte, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Darin stimmen wir voll und ganz überein«, gab sich Feucht erleichtert, ohne es sich anhören zu lassen.
Er wollte das Gespräch bereits dankend beenden, als Frau Vogelsang-Klarsfeld unerwartet nachschob: »Das alles geht natürlich nur, wenn Ihr Herr Büttner der Staatsanwaltschaft keinen Anlass geboten hat, tiefer in die Angelegenheit einzusteigen.«
Feucht fühlte sich erneut in die Ecke getrieben. »Ich denke, das hat er nicht getan.«
»Dann hoffe ich für uns, dass genügend Vorkehrungen getroffen sind, die so
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