Kurzschluss
Windkraft, Wasserkraft, Solarenergie, Fotovoltaik, oder wie das heißt, Wasserstoff, was weiß ich!«
Häberle ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken. Er hatte eigentlich mit etwas anderem gerechnet. »Und darüber hat er Filme gedreht?«, fragte er langsam und ruhig nach, während sie ihre innere Unruhe nicht verbergen konnte.
»Ja, aber gesehen hab ich nie etwas. Das hat mich überhaupt nicht interessiert.«
»Und in wessen Auftrag hat er das gemacht?«
»In keinem, das war sein Privatvergnügen. Seit er eine neue Videokamera hatte und eine entsprechende Software mit allem Schnickschnack – übrigens für sündhaft teures Geld –, hat er nur noch daran rumgemacht und seine freien Tage dazu genutzt, irgendetwas herauszufinden, aber fragen Sie mich nicht, was. Ich hab hier meinen Job gehabt – und er den seinen. So haben wir uns geeinigt und uns auch getrennt.«
»Ihre Trennung«, knüpfte Häberle an das Gesagte an, »die hatte keine anderen Gründe?«
»Wir haben uns auseinandergelebt. Nicht, was Sie denken. Es gab bei ihm keine andere Frau und bei mir keinen anderen Mann.«
»Sie haben eine Tochter in Norwegen«, wechselte der Ermittler das Thema.
»Ja, Lea. Sie ist mit einem Dänen verheiratet und vor vier Jahren nach Norwegen gezogen. Er hat dort einen guten Job in einem Wasserkraftwerk.«
Häberle schaute interessiert. »In der Branche Ihres Mannes also?«
»Strom, ja. Die beiden haben sich kennengelernt, Lea und Ingo, ich meine Herr Frederiksen, die haben sich kennengelernt, als wir einmal bei einer Tagung in Rostock waren. Lea und ich haben da auch mitfahren können.«
»Ihr Schwiegersohn«, zeigte er sich interessiert, »hatte auch geschäftlich mit Ihrem Mann zu tun?«
»Ich denke ja. Aber wie ich Ihnen vorhin bereits sagte, diese Stromsache interessiert mich reichlich wenig. Das ist sowieso seit zehn Jahren ziemlich undurchsichtig. Ich weiß nicht, ob Sie informiert sind, dass damals das Monopol der Versorgungsunternehmen gefallen ist – und diese ganze Liberalisierung begonnen hat.« Sie nestelte an ihrem Kleid. »Liberalisierung und Privatisierung; recht und schön. Aber nennen Sie mir einen Bereich, Herr Häberle, in dem so was wirklich funktioniert. Bei allen Institutionen, die man privatisiert und umgekrempelt hat, bezahlt doch letztendlich der Kunde die Zeche. Geschäftemacher sind überall am Werk. Und soll mir keiner sagen, dass alles kundenfreundlicher geworden ist. Nehmen wir nur mal die Bahn. Ich frage Sie allen Ernstes, was ist da kundenfreundlicher geworden, wenn überall nur noch Automaten rumstehen, die man ab 50 nicht mehr bedienen kann, weil man sie nicht versteht. Kundenfreundlicher ist gar nichts geworden.« Sie winkte ab. »Stattdessen wurde dem staatlich legitimierten Lug und Trug Tür und Tor geöffnet. Oder glauben Sie, es blickt noch ein Mensch durch, wo der Strom heutzutage billiger ist? Da sind höhere Grundgebühren, dort zahlt man weniger für die Kilowattstunde, anderswo gibt’s eine Vertragsbindung, dann wieder nicht. Da Ökostrom oder Naturstrom, aus Wasserkraft oder aus Fotovoltaik. Sie können nicht wirklich vergleichen – und das ist nicht nur beim Strom so. Das geht beim Telefon so weiter, ist beim Gas nicht anders oder bei Versicherungen. Überlegen Sie doch mal, Herr Häberle, wenn Sie dieser Geiz-ist-geil-Mentalität nachspringen wollen, dann sind Sie nur noch damit beschäftigt, Preise zu vergleichen. Und bis Sie endlich den günstigsten Anbieter für irgendetwas gefunden haben, haben sich die Preise wieder verändert. Manchmal hab ich den Eindruck, die Menschheit soll auf diese Weise beschäftigt und abgelenkt werden, um sich nicht politisch zu engagieren.«
Häberle nickte eifrig. Die Frau hatte gewiss recht.
»Das alles zieht sich ebenso quer durchs Geschäftsleben«, machte sie weiter, als wolle sie sich damit Frust und Enttäuschung von der Seele reden. »50 Prozent meines Jobs hier ist nur Verwaltungsarbeit. Und wenn Sie glauben, sich auf ein freies Wochenende freuen zu können, dann liegen garantiert irgendwelche Briefe vom Finanzamt da oder von der Industrie- und Handelskammer, oder von was weiß ich von welchen Institutionen, und Sie verbringen wieder Stunde um Stunde damit, irgendwelche Formulare auszufüllen. Und wenn ich dann das Gesülze vor den Bundestagswahlen höre, dann staune ich nur, wie das Volk das alles hinnimmt.«
»Politisch engagiert hat sich Ihr Mann aber nie?«, fragte Häberle plötzlich, um wieder an den Grund
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