Kurzschluss
auf einen BMW schließen ließ. Wahrscheinlich ein Japaner. Mehr jedoch war der Silhouette des Wagens nicht zu entnehmen.
Abschließen. Wo, verdammt noch mal, befand sich der Knopf für die Zentralverriegelung? Ihre Augen suchten krampfhaft nach der Kontrollleuchte – doch da war nichts, was auf den Schließmechanismus hindeutete. Wenn jetzt die Ampel beim Kaufland noch in Betrieb war und das Rotlicht sie zum Anhalten zwang, war sie dem Fremden hilflos ausgeliefert. Nein, dann würde sie einfach nicht stoppen, entschied sie.
Der Unbekannte hatte inzwischen etwas mehr Abstand gelassen. Zufrieden stellte Silke Rothfuß fest, dass die Ampel vor ihr abgeschaltet war. Sie gab wieder etwas Gas, rollte am Turm der Stadtkirche vorbei und beschloss, an der nächsten Kreuzung rechts abzubiegen. Dann würde sich zeigen, ob der Kerl ihr tatsächlich folgte.
Sekunden später näherte sie sich der Kreuzung, wo die Ampel grün zeigte. Sie setzte den Blinker und bog in den verkehrsberuhigten Altstadt-Bereich ein. Im Rückspiegel sah sie, dass auch das hintere Fahrzeug den Blinker betätigt hatte und ihr tatsächlich gefolgt war. Ihr Herz begann plötzlich zu rasen. Es konnte kein Zufall sein, dass der Mann denselben Weg hatte – ausgerechnet durch das kurze Stück des Tempo-20-Bereichs, in dem zu dieser späten Stunde kein Mensch mehr unterwegs war. Durch die große Fensterfront des hell erleuchteten Eckcafés in der Fußgängerzone erkannte Silke Rothfuß einige Gäste. Sie trat kräftig aufs Gaspedal und beschleunigte ihren Eos innerhalb einer geringen Wegstrecke auf 70, schoss über den Zebrastreifen und wollte gerade wieder abbremsen, weil sie an der nächsten Querstraße die Vorfahrt achten musste, da zuckte ein rötlicher Blitz. Es war ihr, als habe sie ein lautloser Schuss getroffen. Sämtliches Blut schien ihr aus den Gliedern zu entweichen. Dennoch war sie in der Lage, zwei Dinge gleichzeitig zu tun: Sie bremste, weil sich die vorfahrtsberechtigte Querstraße näherte, und sie blickte in den Rückspiegel, wo ein zweiter Rotlichtblitz zuckte und das nachfolgende Auto für den Bruchteil einer Sekunde erhellte.
Radar. Ja, es war eine Radarfalle gewesen, stellte die Frau fest und spürte Erleichterung, obwohl dies ihr sicher einen Monat Fahrverbot einbringen würde. Aber es war kein Schuss und kein Anschlag gewesen.
Ihr Herz raste noch schneller, als sie an der Einmündung nur kurz stoppte, um sich zu vergewissern, dass es keinen Querverkehr gab und sie nach links in die Bahnhofstraße einbiegen konnte. Dort war zwar das Tempo auf 40 begrenzt, aber weil wohl kaum eine weitere Messstelle eingerichtet sein würde, trat sie das Gaspedal voll durch. Aus Zorn, aus Angst, aus Verzweiflung.
Das Telefon. Sie brauchte nur diese eine Taste zu betätigen. Warum sollte sie es nicht tun? Er hatte gesagt, dass er ihr notfalls beistehen werde. Noch einmal zögerte sie, doch angesichts der bedrohlichen Scheinwerfer im Rückspiegel traf sie instinktiv die Entscheidung. Augenblicke später zwei Freizeichen im Lautsprecher – dann die Stimme: »Der Anschluss, den Sie gewählt haben, ist momentan nicht erreichbar. Sie können aber nach dem Signalton eine Nachricht hinterlassen.«
Silkes Herz schlug noch schneller. »Hallo«, presste sie aus ihrem trockenen Hals. »Hallo, Hilfe.« Ihre Augen zuckten vom Rückspiegel zur Straße und wieder zurück. Die Scheinwerfer des Eos strichen an der tristen, jedoch bewachsenen Stützmauer vorbei, die rechts die Bahntrasse abstützte. »Ich werd verfolgt …« Sie musste sich auf ein Auto konzentrieren, das aus einer Seitenstraße von links in ihre Fahrtrichtung eingebogen war. »Und geblitzt wurde ich auch«, stammelte sie mit zitternder Stimme. Aber was nützte es, auf eine Mailbox zu sprechen, von der sie nicht wusste, wann sie abgehört werden würde? Sie beendete die Verbindung.
Sollte sie 110 drücken? Ihr Zeigefinger verharrte. Wenn sie das tat, war sie einer Menge unangenehmer Fragen ausgesetzt. Und wenn sie es nicht tat, möglicherweise noch mehr. Rechts zog der Bahnhof vorbei.
Während ihr ein erneuter Blick in den Rückspiegel die drohende Gewissheit verschaffte, dass der Unbekannte hartnäckig hinter ihr blieb, versetzten ihr die schrillen Töne des Handys einen zweiten Schreck. Sie verlangsamte das Tempo und versuchte, auf dem beleuchteten Display Name oder Nummer des Anrufers abzulesen. Doch soweit sie es sehen konnte, stand da nur ›Unbekannter Anrufer‹. Noch bevor sie den
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